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Andreas Maier: Mein Jahr ohne Udo Jürgens

Genau vor einem Jahr, am 21. Dezember 2014, starb Udo Jürgens. Sein Tod überraschte die Öffentlichkeit und wurde, zumindest im deutschsprachigen Raum, zu dem vorweihnachtlichen Medienereignis. Doch das war Udo Jürgens eigenlich schon immer. Er gehörte für diejenigen, die nach 1960 geboren sind, zu den wenigen Gestalten, die eigentlich schon immer da waren, quasi zeitlos, am Rande der Unsterblichkeit. Ein Eindruck, der nicht unbedingt dadurch widerlegt wurde, dass ein mittlerweile Achtzigjähriger einmal mehr eine unglaublich erfolgreiche Konzerttournee absolvierte – und dann in der Winterpause zwischen den beiden Konzertblöcken bei einem Spaziergang einfach starb.

Ich bin kein Fan von Udo Jürgens, aber ich war und ich bin ein Bewunderer des Phänomens, das Udo Jürgens heißt. Und ich mag seine Musik, kann sie immer wieder mal hören, nicht regelmäßig, aber wenn, dann in Schüben und am liebsten bei einer Autofahrt. Ab und an braucht man so seine Dosis Udo Jürgens und dann ist es auch wieder gut. Dass ich nie eines seiner Konzerte besucht habe, finde ich schade, aber trage diesen Umstand nicht als stetes Bedauern mit mir herum.

Ganz so geht es Andreas Meier nicht, der im Oktober 2014 noch ein Konzert der „Mitten im Leben“-Tournee in Frankfurt besucht und darüber in der FAZ berichtet hatte. Nach Udo Jürgens‘ Tod entschloss sich Andreas Maier, die Arbeit an seinem Zyklus „Ortsumgehung“ etwas in den Hintergrund treten zu lassen und dachte im Suhrkamp-Blog „Logbuch“ in jeweils zwei Beiträgen pro Monat über sein Verhältnis zu dem Entertainer nach. Diese Beiträge, leicht überarbeitet, um einige Texte ergänzt und unter Verzicht auf den allerletzten Beitrag im „Logbuch“ wurden zu dem Buch Mein Jahr ohne Udo Jürgens zusammengestellt und im November veröffentlicht.

Auch Andreas Maier ist kein Udo-Jürgens-Fan, der nun vor dem Leser seine Trauerarbeit ausbreitet. Eher im Gegenteil: Lange Jahre hätte er eher Abwehrreflexe gegen die Entertainer entwickelt statt ihn zu bewundern. Präsent war er ihm aber doch immer, irgendwie und unausweichlich. Aber seine Bewunderung beginnt nach einem Konzert im Januar 2007, zu dem ihn Bekannte überredet haben. Die Wirkung auf ihn erstaunt ihn selbst und löst eine Auseinandersetzung aus, die seitdem fortdauerte. Genau darüber gibt er Auskunft:

Was Udo Jürgens ist, war, wie er wirkte und als was er (und für was er) dasteht, das können wir nur in uns wiederfinden, den Lesern dieser Erzählung Udo Jürgens‘. Oder hermeneutisch besser gesagt: Wir müssen diese Erzählung erst konstruieren. Wir müssen über Udo Jürgens ins Erzählen kommen, um ihn zur Erzählung zu machen. Und in jeder Erzählung stecken wir drin. Es geht immer auch um uns.

Andreas Maier formuliert in diesen Zeilen ein poetologisches Programm, das seine Texte (genau genommen nicht nur die über Udo Jürgens) bestimmt. Der Entertainer interessiert ihn nicht als Mensch. So wird auch jeder am Boulevard geschulte und an dessen Sprache gewohnte Leser enttäuscht sein über das Buch. Aber solche Reaktionen sind verkraftbar. Andreas Maier arbeitet Zusammenhänge heraus, legt aus, deutet und betreibt Hermeneutik im besten Sinne. Die Interpretation zu „Merci Chérie“, die er über insgesamt 28 Druckseiten ausbreitet, ist eine große und höchst unterhaltsame hermeneutische Leistung. Wer nichts sonst lesen will, der lese diese drei Kapitel! Das Große an dieser Interpretation liegt nicht nur in den Verbindungen und Deutungshorizonten, die Andreas Maier eröffnet, sondern zugleich in der merkwürdigen Schwebe, die bleibt und die Frage provoziert, ob er das alles nicht vielleicht doch ironisch meint. Wunderbar.

Was er an dem „Narrativ Udo Jürgens“ – so nennt es Andreas Maier einige Male – wahrnimmt und betont, ist dessen „radikale Emotionalität“, die sich in seiner Musik und in seinen Texten ausdrückt. Sie gehe einher, nein, sie funktioniere über die zunehmende, am Ende totale Reduktion der Begriffe auf sich selbst.

„MEIN ZIEL – ist immer ein Ziel zu haben“
[…]
Warum aber diese Reduktion auf das ganz Große, ganz Inhaltsleere im Menschsein? Vielleicht ist die Frage verkehrt herum gestellt. Was wäre denn das Gegenteil? Jedes Gegenteil würde die Möglichkeit zur Identifikation verringern, beschränken. Indem aber die Begriffe bei Udo Jürgens gleichsam unangewendet bei sich selbst bleiben, ist die Identifikationsmöglichkeit total, weil durch nichts Weltartig-Konkretes eingeschränkt. Denn: Liebe ist Liebe. Traum ist Traum. Ziel ist Ziel. Sehnsucht ist Sehnsucht. Hoffnung ist Hoffnung. Radikalität ist Radikalität. Gelingen ist Gelingen. Leuchtturm ist Leuchtturm. Licht ist Licht. Udo Jürgens ist Udo Jürgens. Udo Jürgens ist der reine geläuterte Begriff. Das Für-sich-selbst-Stehen der ganz großen Begriffe.

Diese Textpassagen zu zitieren birgt die Gefahr, man könne annehmen, Andreas Maiers Udo-Jürgens-Journal sei akademisch. Das ist es mitnichten. Er verhindert es alleine schon dadurch, dass er seine Gedanken anbindet an seine konkreten Begegnungen mit Bekannten und Freunden in der Apfelweinwirtschaft in Frankfurt und unmittelbarer Umgebung. Mit seinem Thema bleibt er – und auch das passt sicherlich zum Phänomen oder Narrativ Udo Jürgens – immer gesellig.

Nur gegen Ende seiner Aufzeichnungen gewinnt man den Eindruck, er werde es nun nach knapp einem Jahr langsam leid, sich mit Udo Jürgens zu beschäftigen. Andreas Maier rückt diejenigen Lieder in den Vordergrund, die in ihrer Banalität Jürgens großen Erfolg verschafften, ihm aber das Etikett des „Schlagerfuzzis“ einbrachten. In Einzelfällen zurecht, wie das von Andreas Maier mit dem Peinlichkeitsetikett markierte „Buenos Dias Argentina“, im Gesamtoeuvre aber zu Unrecht. Vor allem aber entdeckt er in den letzten Konzerten einen Sakralcharakter, der ihn an die Ästhetik Leni Riefenstahls und an Auftritte Adolf Hitlers erinnern. Er arbeitet dann zwar die Unterschiede in den Haltungen und Anliegen heraus, aber dieser unglückliche und schiefe Vergleich steht plötzlich im Raum, lässt sich nicht mehr so recht beiseite räumen und bleibt ebenso unnötig wie falsch. Er erzeugt eine Unversöhnlichkeit, die der Haltung Maiers gegenüber Udo Jürgens ganz offensichtlich in keiner Weise entspricht und dem ausgesprochen lesenswerten Buch am Ende einen kleinen Abbruch tut.

Vielleicht hat Andreas Maier deshalb im „Logbuch“ ein, wie er es nennt, „Schlussbild“ angefügt, das wie erwähnt leider im vorliegenden Band nicht mehr abgedruckt wurde. Darin schlägt er einen Bogen zurück zu seinem Onkel J.. Den hat er literarisch schon mehrfach vorgestellt, mit ihm beginnen auch seine Aufzeichnungen zu Udo Jürgens. Hier am Ende spricht er nun davon, er könne über seinen Onkel Schreckliches schreiben, was er wolle, er könne ihn nie aus seiner Liebe entlassen. Und das könne er, so vermutet er, Udo Jürgens auch nicht, würde er über ihn singen.

Andreas Maiers Buch über sein Jahr ohne Udo Jürgens sind weitere Auflagen zu gönnen, zu gönnen ist ihm aber auch, dass seine Aufzeichnungen um diesen Text, das „Schlussbild“, noch ergänzt werden.


Andreas Maier: Mein Jahr ohne Udo Jürgens. – Berlin: Suhrkamp Verlag 2015 (17,95 €)