You are currently viewing Dirk Kurbjuweit: Die Freiheit der Emma Herwegh

Dirk Kurbjuweit: Die Freiheit der Emma Herwegh

Fragt man jemanden, der gerade vorübergeht, welches Gedenkjahr wir in diesem Jahr in Deutschland feiern, so wird, insofern man überhaupt eine Antwort erhält, wohl auf die Reformation und auf Martin Luther hingewiesen werden. Hierzulande denkt man die Reformation als identitätsstiftendes Ereignis, auf religiöser, auf nationaler und ab und an auf europäischer Ebene. Da kann der 200. Geburtstag von Emma und Georg Herwegh nicht mithalten. Er kann es schon deshalb nicht, weil man das Wirken dieser beiden nicht als Erfolgsgeschichte, erst recht nicht zu Lebzeiten, erzählen kann; das Luthers schon. Offensichtlich ist es auch weniger interessant, den einen ein Paktieren mit der Obrigkeit nun wahrhaftig nicht vorwerfen zu können, wenn man dem anderen zugutehalten kann, dass dessen beförderte Assimilation von Glaubensgrundsätzen an staatliche Strukturen die Wirkung, die dann einsetze, erst recht ermöglichte.

Umso verdienstvoller ist da Dirk Kurbjuweits Bemühen, das Wirken der Herweghs literarisch zu bearbeiten und im Gedächtnis zu behalten. Wobei …

So viel sei vorweg gesagt: Bei aller Orientierung an den historischen und biographischen Fakten kommt Georg Herwegh in Kurbjuweits Roman insgesamt ziemlich schlecht weg. Emma erscheint hingegen als vorbildhafte Streiterin für Freiheit und als mutige Vorkämpferin für Frauenrechte. Während man sich bei Georg immer wieder die Frage stellt, was er denn nun eigentlich riskiert mit seiner Haltung und seiner Position, stellt man sie bei Emma nie, weil immer klar ist, was sie für die Verteidigung ihrer poltischen Ideale in die Waagschale wirft und aufs Spiel setzt. Das sind wahrhaftig nicht nur materielle DInge, das ist, so wird es erzählt, auch durchaus das Leben ihrer Kinder. Wenn diese Figur schließlich trotzdem nicht ganz überzeugt, dann liegt das nicht an der Intention, sondern an der Konstruktion des Romans.

Er konzentriert sich auf drei Phasen aus dem Leben der Emma Herwegh, Phasen, die allesamt historisch verbürgt sind. Er nimmt das Jahr 1842 in den Blick, als sich Emma Siegmund, Tochter eines wohlhabenden Tuchhändlers und Hoflieferanten in Berlin, und Georg Herwegh, der Revolutionsdichter, kennenlernen. Er richtet sein Augenmerk desweiteren auf das Jahr 1848 in der Zeit zwischen der Pariser Februarrevolution und dem Scheitern des sogenannten Hecker-Aufstands in Baden im April des Jahres. Schließlich auf die Zeitspanne zwischen 1850 und 1852 und auf das Liebesverhältnis zwsichen Georg Herwegh und Natalie, der Frau des russischen Revolutionärs Alexander Herzen. Auf dieses biographische Material greift Kurbjuweit nicht in chronologischer Reihenfolge zu, sondern alterierend. Dadurch entsteht eine durchaus interessante Wechselwirkung zwischen den einzelnen Zeitspannen, die in strenger zeitlicher Abfolge so deutlich vielleicht nicht hätte werden können. Es entsteht ein Beziehungsgeflecht, in dem sich politisches Agieren (oder der Verzicht darauf) und persönliche Lebensführung ineinander verhaken.

Die Ereignisse der Jahre 1842 und 1848 erzählt ein weithin auktorialer, bisweilen personaler Erzähler, durch den sich die Innensichten der Hauptfiguren intensiv zum Ausdruck bringen. Georg Herwegh erscheint dabei zunächst als eine Art literarischer Pop-Star, der mit deinem Gedichtband Gedichte eines Lebendigen (1841, Band 2 1843) einen überwältigenden literarischen Erfolg hatte und in liberalen und revolutionären Kreisen Fuß fasste. Als solchen lernt Emma ihn kennen, auf deren Eeinladung hin er nach Berlin kommt, von der auch die Liebesinitiative ausgeht. Als die eigentlich dominierende Gestalt erweist sie sich auch sechs Jahre später in Paris während der revolutionären Aufstände. Während sich ihr Mann immer mehr zurückzieht, um das Leben der Seetiere zu erforschen, erscheint sie als die politisch Wachere und Entschlossenere. Sie nimmt schließlich, und das auch gegen den Willen ihres Mannes, gemeinsam mit ihm teil an dem Zug der „Deutschen Demokratischen Legion“ von Frankreich aus ins Badische mit dem Ziel, Friedrich Hecker zu unterstützen. Aus dem Desaster dieses dilettantisch geplanten und durchgeführten Projekts können sich die Herweghs nur im letzten Augenblick ins Schweizer Exil retten.

Um was zu tun? Um aus der Exilsituation heraus und durch die finanziellen Zuwendungen von Emmas Vaters materiell abgesichert geraume Zeit im Kreise Gleichgesinnter ihren idealistischen Revolutionsvorstellungen weiter nachzuhängen und sich in ihren Ideen im Privaten heillos zu verzetteln. Die Liebesbeziehung zwischen Natalie Herzen und Georg Herwegh, mehr aber noch Emmas Umgang mit dieser Kränkung bilden den schon erwähnten dritten Abschnitt – und tragen dazu bei, dass der Roman als nur eingeschränkt gelungen und überzeugend angesehen werden kann.

Da ist zum einen der inhaltliche Aspekt. Wie Emma in dieser Affäre agiert, um ihren Mann nicht zu verlieren, den sie emotional aber schon längst verloren hat, zeigt ein Ausmaß an Selbsterniedrigungsbereitschaft, das kaum überbietbar ist, das, je weiter man liest, aber schließlich nur noch nervt. Begleitet und verstärkt wird das noch durch die Art und Weise, wie es erzählt wird. Denn Kurbjuweit verzichtet in diesen Erzählteilen auf einen auktorialen oder personalen Erzähler, sondern lässt die Ereignisse im rückblickenden Gespräch aus dem Jahr 1894 heraus aufarbeiten. Gesprächspartner sind dabei die mittlerweile 77-jährige Emma Herwegh und der zu diesem Zeitpunkt 30-jährige Benjamin Franklin. Dieser jüngere Mann ist kein anderer als der mit seinen Geburtsnamen bezeichnete Frank Wedekind. Auch diese Verbindung zwischen Herwegh und Wedekind ist, so viel sei erwähnt, biographisch abgesichert. Der Versuch, über das rückblickende Gespräch das damalige Verhältnis Emma Herweghs zu ihrem Mann aufzuarbeiten, ist das literarisch ambitionierteste Erzählkonstrukt, das ich von Kurbjuweit kenne. (Aber ich kenne nicht alle seine literarischen Texte.) Es geht jedoch ziemlich gründlich schief. Die Figur des Benjamin Franklin tritt auf als eine Art Alibi-Empörter, der sein Unverständnis über Emmas Verhalten in der Herzen-Affäre artikulieren darf, der aber zugleich nicht mehr ist als ein Stichwortgeber, um Emma rückblickend erzählen zu lassen. Er selbst bleibt geradezu gesichtslos.

Das ist schade. Die übrigen Teile der Romans haben durchaus das Potential, an eine Frau zu erinnern, die in ihrem Eintreten für Freiheit und Frauenrechte zu Unrecht zu den weithin Vergessenen gehört, und das erst recht, weil es für sie keine bloßen Ideale waren, sondern Ziele der eigenen konkreten Lebenspraxis. Das Devote in ihrem Ringen um Georg Herweghs Liebe und dessen erzählerisch unzulängliche Vermittlung machen sie aber in einer Weise klein, ja unglaubwürdig, die sie nicht verdient hat.


Dirk Kurbjuweit: Die Freiheit der Emma Herwegh. Roman. – München: Carl Hanser Verlag 2017 (23.- €)