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Hilmar Klute: Was dann nachher so schön fliegt.

Schon nach wenigen Seiten scheint dem Leser unmissverständlich klar, wer dem jungen Mann, der nach einer Dichterexistenz strebt, Vorbild ist: Peter Rühmkorf. Sogar der Titel des Romans zitiert eine Gedichtzeile des großen Lyrikers. Doch im Laufe der Geschichte, die der Ich-Erzähler unterbreitet, gesellen sich andere dazu: Nicolas Born und Ernst Meister etwa. Erich Fried allerdings bleibt konstant ein Autor, der auf allseitige Ablehnung stößt. Sein literarischer Erfolg beim Lesepublikum, und das mit Gedichten, deren latente Erfolglosigkeit doch der Gattung eingeschrieben und den Lyrikern Existenzsäule zu sein scheint, macht wohl verdächtig. Vom Ende des Romans aus betrachtet, ist trotz Rühmkorf und seiner Kollegen die Anlage des Romans vielleicht doch zuerst eine Hommage auf Heiner Müller.

Dem begegnete der Ich-Erzähler und Protagonist Volker Winterberg im Herbst 1986 auf einer Tagung junger Autoren in Berlin, zu der er eingeladen worden war. Man kam kurz ins Gespräch, Müller riet ihm beim Abschied, alles, was er geschrieben habe, zu vernichten.

„Machen Sie es gut und schmeißen Sie alles weg. Wenn Sie immer wieder von vorne anfangen, merken Sie, eines Tages, dass Ihre Gedichte gut sind. Eines Tages.“

So sein Rat- Dem folgt Volker Winterberg am Ende des Romans tatsächlich und verbrennt sein Notizbuch, das er bis dahin immer mit sich getragen hatte. – Und dann hat er wohl neu angefangen. Das Ergebnis ist, zumindest im übertragenen Sinne, der vorliegende Roman.

Aber der ist mehr als ein Roman über ein beginnendes Schriftstellerleben oder – wie Sigrid Löffler unlängst annahm – über eine spätpubertäre, pathologisch narzisstische und natürlich männliche Existenz. Die eben auch auf sozial- und gesellschaftskritische Zusammenhänge ausgerichtete Spannung des Textes entwickelt sich aus der Engführung zweier Erzählstränge, die in ihrer Chronologie am Ende zusammenlaufen, aber von Beginn an nicht ohne einander wahrgenommen werden können. Es ist die von ihm selbst erzählte Geschichte dieses Volker Winterberg als angehender Dichter und als Zivildienst leistender Altenpfleger. Wenn sich diese beiden Stränge von Kapitel zu Kapitel abwechseln, ergibt sich ein etwas starrer Schematismus in der Konstruktion des Romans. Aber in Anbetracht des Erzählten: geschenkt.

Das eigentliche Metier der 20jährigen Hauptfigur ist die Lyrik. Volker Winterberg will unbedingt Dichter werden, und weil er davon überzeugt ist, dass sich gelungene Literatur eben aus Lebensanschauung und Lebenserfahrung speist, sucht er zunächst Anregungen bei einem Parisaufenthalt. Der geht zwar ziemlich in die Hose, lässt aber ein Gedicht entstehen, das ihm eine Einladung zu einer Tagung junger Autoren in Berlin einbringt.

Das Vergnügliche an diesem ziemlich schieflaufenden Parisaufenthalt ist nicht nur der selbstironische Umgang des im Ruhrgebiet aufgewachsenen und lebenden Ich-Erzählers mit der eigenen Unbeholfenheit in dieser Weltmetropole. Es sind auch nicht allein die zum Leitmotiv der gesamten Romanhandlung werdenden Einstreuungen von Tagträumen, in denen sich der junge Mann zum Mitglied der Gruppe 47 imaginiert und deren Eitelkeitsgebaren aufs Korn nimmt – bei gleichzeitig ausgeprägter Bewunderung. Es ist eben auch der Umstand, dass dieses neue Gedicht aus seiner Feder mit dem Titel „Langstieliges Nachtleben“ aufgrund seiner schiefen Bildlichkeit ziemlich misslingt, aber trotzdem zum Billet für die Tagung in Berlin wird. Der so fokussierte Blick, den der Ich-Erzähler dem Leser auf den Literaturbetrieb anbietet, ist immer ironisch gebrochen, passagenweise satirisch zugespitzt. Es bereitet wirklich großen Lesespaß, zu sehen, dass sich das Verhalten der jungen angehenden Autoren in Berlin 1986 kaum von dem unterscheidet, was die herbeigetagträumten Literaturheroen der Gruppe 47 an den Tag legen: wechselseitiges Misstrauen, Neid, durchaus auch Intrige und ein zugleich nicht selten den Rand der Peinlichkeit überschreitendes Haschen nach Aufmerksamkeit.

Hilmar Klute, selbst SZ-Redakteur, der sich im Metier wohl bestens auskennt, gelingt es in diesem Erzählstrang nicht nur das literarische Leben der endachtziger Jahre einzufangen und die ganz eigene Atmosphäre der Enklave Berlin in ihrer ummauerten Eingeschlossenheit zu zeigen. Sensibel versteht er es deutlich zu machen, dass jene junge Menschen, die sich anschicken, ihr Leben auf die Literatur auszurichten, durchweg sozial und ökonomisch prekäre Existenzen sind. Auch aus diesem Druck heraus speist sich ihr merkwürdiges Verhalten. Bei aller ironischen Distanz und punktuell satirischen Zuspitzung einer Reihe von Figuren, macht sich der Ich-Erzähler und mit ihm sein Autor niemals auf deren Kosten lustig.

Das gilt genauso für die Gestalten, die den zweiten Erzählstrang bevölkern. Denen geht es durchaus noch schlechter als den literarisch Tagenden in Berlin. Sie leben im Siechtum der letzten Lebensphase im Heim oder aber pflegen die dort lebenden alten, kranken und dementen Menschen unter höchst zweifelhaften Arbeitsbedingungen. In der Konkretheit der Darstellung dieser Lebens- und Arbeitsbedingungen ist Volker Winterbegr unerbittlich konkret. Das Anlegen von Urinarkondomen oder auch die recht detailliert geschilderte Darstellung einer Enddarmausräumung zwingen den Leser zum ungeschützen Hinschauen und rücken die Würdelosigkeit der sich darin manifestierenden Lebenssituation in dessen Wahrnehmung. Dass sich die Pflegerinnen und Pfleger dagegen mit Zynismus rüsten, wird nachvollziehbar, ohne zu entschuldigen, ebenso aber auch Winterbergs Rebellion gegen derlei Kälte und Empathieverlust.

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Erzählstränge – hier die Dichtertagung in Berlin, dort der Heimalltag – kontrastiv angelegt. Sind sie aber nicht, und das nicht nur wegen der Beziehungsgeschichten, in in beiden eine Rolle spielen. In den jeweiligen Lebensräumen, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, zeigen sich Verhaltensweisen, die gemeinsame Muster erkennbar werden lassen. Darin manifestiert sich reichlich Illusionslosigkeit – und zugleich immer wieder der feine subtile Funke der Poesie, der, so scheint es dann doch, die Wirklichkeit in ihrer Unzulänglich- und Unerbittlichkeit bearbeitbar macht.


Hilmar Klute: Was dann nachher so schön fliegt. Roman. – Berlin: Verlag Galiani 2018.

Bildnachweis

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