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Marketing für die Schublade Freundliches Unbehagen an einem Preis

Ein neuer Literaturpreis!

Anfang letzter Woche wurde über die einschlägigen sozialen Medien und über eine Pressemitteilung publik, dass eine Gruppe von Literaturbloggern unter der Federführung von Tobias Nazemi einen neuen Preis ausgelobt habe, den Blogbuster. Preis der Literaturblogger. Der soll den  besten bisher unveröffentlichen Roman eines Autors würdigen und prämieren, der bisher noch keinen Vertrag mit einem Verlag oder einer Literaturagentur hat.

Das Projekt soll, wenn ich es richtig verstanden habe, so ablaufen, dass bisherige Schubladenautoren ihr Manuskript bei einem der 15 beteiligten Literaturblogger ihrer Wahl einreichen können, dieser jeweilige Blogger, insofern ihm das Manuskript zusagt, zu einer Art Pate wird und es einer Fachjury vorlegt. Die Jury ist besetzt mit Elisabeth Ruge von der gleichnamigen Literaturagentur, Tom Kraushaar von Klett-Cotta, Lars Birken-Bertsch von der Frankfurter Buchmesse und dem Initiator des Ganzen Tobias Nazemi, einschlägig bekannt durch seinen  Blog buchrevier. Als Vorsitzender des Ganzen konnte der Literaturkritiker Denis Scheck gewonnen werden. Konzeptionell erinnert das Projekt ein wenig an eine Mischung aus open mike und The Voice of Germany.

Dem Gewinner des Wettbewerbs winkt ein Vertrag mit der Literaturagentur sowie die Veröffentlichung des Romans. Einzelheiten dazu und zu den teilnehmenden Literaturbloggern findet man auf der zeitgleich freigeschalteten Homepage des Projekts. Zeitlich, so viel sei noch erwähnt, ist das Ganze ziemlich straff gestrickt. Am 21. Oktober 2016 wird das Projekt auf der Frankfurter Buchmesse offiziell vorgestellt, schon im Mai des nächsten Jahres findet die finale Lesung der drei verbliebenen Shortlist-Autoren sowie die öffentliche Preisverleihung in Hamburg statt. Zur Buchmesse 2017 erscheint dann der Roman beim Tropen Verlag, dem Tochterverlag von Klett-Cotta.

Noch ein Literaturpreis!

Das war tatsächlich der erste Gedanke, der sich spontan einstellte, als ich den Post auf Facebook las. Und der zweite: Ein weiteres Buch, das du nicht Zeit haben wirst zu lesen. Wenn es uns an einem nicht mangelt, dann an allmonatlich erscheinenden literarischen Neuerscheinungen und an neuen Autoren auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Ein weiterer spontaner Gedanke, später, nachdem ich gelesen hatte, wer an der Preisvergabe beteiligt ist: Immer dieselben. Ich vermisste nur Mara Giese.

Allenthalben also: Unbehagen. Doch auch, verzögert, Unbehagen am Unbehagen. Bist du eigentlich bescheuert! Ist doch eine prima Idee! Da bekommt ein bisher unbekannter Autor oder eine Autorin eine Chance, die sie oder er bisher nicht hatte, da werden vielfältige Kommunikationsstränge im Literaturbetrieb vernetzt, die Kluft zwischen etablierter Literaturkritik und den Literaturbloggern wird einmal überbrückt und zugleich erhalten Letztgenannte, also die Literaturblogger eine gewichtige, weil in breiterer Öffentlichkeit wahrnehmbare Stimme. Alles gut! Was willst du eigentlich?

Die Selbstbezichtigung als Nörgler nutzte aber nichts; das Unbehagen blieb. Und das – wie schon gesagt – Unbehagen am Unbehagen, erst recht deshalb, weil ich es mir nicht erklären konnte. Gut, ich wusste, dass ich Denis Scheck als Literaturkritiker nicht sonderlich mag. Ich tue mich schwer mit einem Verhalten, das um der Selbstinszenierung willen sich im literaturkritischen Diskurs (der dann keiner mehr ist) sich auf die Schwundstufe des bloßen Stichwortgebers für die mediale Inszenierung eines Autors oder einer Autorin begibt. Das vor kurzem gesendete Interview mit Christian Kracht zu seinem Roman „Die Toten“ ist diesbezüglich ja kein Einzelfall. Ungleich problematischer ist für mich aber die Attitüde desjenigen, der sich anmaßt, aufgrund flott formulierter Urteile fernsehgerecht Bücher in eine Mülltonne werfen zu können. Da frage ich mich jedesmal, wann das brennende Streichholz hinterher fliegt. Welche Art des Umgangs mit Literatur, so wäre vielleicht zu fragen, glaubt man dadurch zu nobilitieren, dass man Denis Scheck zum Vorsitzenden der Blogbuster-Fachjury macht?

Aber sollte dieser Mann allein mein Gefühl des Unbehagens erzeugen? Ich weiß nicht. Mein Gefühl schärfte sich erst aus, als ich erste Reaktionen auf diesen neuen Preis las. Eine Vielzahl, vielleicht sogar alle teilnehmenden Blogger meldeten sich mit einem eigenen Facebook-Post oder einem Beitrag auf dem eigenen Blog zu Wort und kündigten ebenfalls das neue Projekt an. Es gab auch erste, wenn auch zurückhaltende kritische Stimmen. Wichtig wurden mir zur Klärung meines eigenen Unbehagens vor allem zwei Beiträge. Das sind der Facebook-Post von Stefan Mesch, genau genommen die sich an seine Bemerkungen anschließende Diskussion in den Kommentaren, sowie der Blog-Beitrag von Katharina Herrmann auf ihrem Blog Kulturgeschwätz.

Prolepse

Ich sage es gerade heraus: Auf rhetorische und argumentative Finessen, die mit Auf- oder Abwertungsstrategien arbeiten, seien sie nun ironisch verbrämt oder nicht („Uh, Stefan Mesch zerlegt uns. Wir haben es geschafft, Leute! „), habe ich keine Lust.  Sie bringen nichts, denn sie zielen an der Selbstklärungsabsicht meiner Gedanken vorbei. Der oben schon einmal zu Wort gekommene Anti-Nörgler kann sich nämlich durchaus durchsetzen und sich im inneren Team insofern behaupten, als ich den Preis mit Interesse verfolgen werde. Nichts liegt ferner als die Absicht, das Projekt madig zu machen. Was den Nörgler wohl stört, ist das Bild, mit dem der Preis in die literarische Öffentlichkeit hineinlanciert wird.

Einwände

Die erste, die, augenscheinlich genervt, aus dem Kreis der teilnehmenden Buchblogger auf die doch sehr behutsame Kritik reagierte, war, wenn ich das richtig sehe, Sophie Weigand. In einem Kommentar zum oben verlinkten Post von Stefan Mesch wies sie darauf hin, dass die Blogger keineswegs „Opfer geschickten Marketings“ seien, sondern die Initiative aus ihrem eigenen Kreis erwachsenen sei und den Bloggern eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe zukommen lasse. Recht hat sie, aber das ist nicht das Problem. Mir erscheint es viel problematischer, dass die Blogger selbst in der Weise, wie der Preis auf die Beine gestellt wird, offensiv (und ohne Zweifel professionell) Marketing betreiben. Sie lassen sich nicht ins Literaturmarketing einspannen, sie spannen sich selbst ein, wenn, mag sein, auch mit der eigenen Kutsche. Sie sind nicht mehr Begleiter des Betriebs, die ihm aus der Distanz kommentierend  folgen, sie sind Teilhaber. Katharina Herrmann beklagt in diesem Zusammenhang, dass Kritiker des Konzepts wohl zu sehr auf „althergebrachte distinktive Strukturen“ setzen würden. Es ist der Preis selbst, der genau diese Strukturen bedient. Man kann das machen, ohne Zweifel, aber dann sollte man das auch sagen und nicht als heroischen Befreiungsakt aus bisheriger Marginalisierung oder als Aufweichung von Disktinktionen darstellen.

Ohnehin sollte nicht übersehen werden, dass es mittlerweile einen Literaturpreis gibt, der sich genuin aus dem Engagement von Literaturbloggern speist. Das ist der in diesem Jahr erstmalig ausgelobte Preis für das beste Debüt eines deutschsprachigen Romans, der von Janine Hasse und ihren Mitstreiterinnen ins Leben gerufen wurde. Freilich gibt es Unterschiede. Der Rahmen, in dem der Preis platziert wird, ist ungleich bescheidener, die Aufmerksamkeit, die er auf sich ziehen wird, aufgrund dessen zweifellos geringer, das Preisgeld in Höhe von 500 Euro weniger attraktiv als die Aussicht auf Agenturvertrag und Verlagsveröffentlichung. Der wesentliche Unterschiede ist aber der, dass all die eingereichten Debüts die Verlagshürde schon hinter sich gebracht haben. Aber macht dieser Unterschied den Blogbuster-Literaturpreis interessanter?

Mir scheint: Nein. Eher habe ich den Eindruck, dass sich in seinem Konzept eine diffuse Skepsis gegenüber den herkömmlichen Wegen von literarischer Förderung und Distribution artikuliert. Denn stillschweigend geht die Preisbegründung von der Annahme aus, es gebe Manuskripte, die durch all die Raster fallen, die Literaturagenturen und Lektorate spannen. Als seien diese Institutionen nicht fähig, den literarisch interessanten Prosabeitrag zu entdecken, zu fördern und zu etablieren. Mag sein, dass man mich mangels tieferer Kenntnisse konkreter Verlagsarbeit der Naivität bezichtigen kann, aber mein Vertrauen in die Einrichtungen ist da durchaus höher. Wenn Mareike Fallwickl in ihrer sympathisch schnoddrigen Art deshalb fürchtet, „dass nur Scheiß eingeschickt wird“, dann ist das eine Möglichkeit, die man nicht so ganz vom Tisch wischen kann. Des Weiteren würde ich mir trotz meiner literarisch geprägten Berufsbiographie nicht anmaßen wollen, die Aufgabe eines Gutachters, Agenten oder Lektors angemessen übernehmen zu können. In diesem Zusammenhang fällt mir da eher Schusters Leisten ein.

Katharina Herrmann begründet ihre Teilnahme damit, dass es ihr wichtig sei, einen Beitrag leisten zu können zur „Auflösung von literaturbetriebseigenen Ausschließungsstrukturen“. Wer Kuturgeschwätz, ihren Blog, verfolgt, wird nicht bestreiten können, dass die Infragestellung von Herrschafts- und Ausschließungsdiskursen ihr wirklich ein ausgesprochen ernst zu nehmendes Anliegen ist. Dennoch leuchtet mir ihre Argumentation in diesem Fall nicht ein, und das aus gleich mehreren Gründen. Dabei möchte ich nicht einmal in eine akademische Diskussion um diskurstheoretische Ansätze eintreten, die daran erinnern, dass jedem Diskurs Ausschließungsimpulse eigen sind. Ich möchte auf konkretere Zusammenhänge verweisen.

Katharina Herrmann betont, sie verstehe sich als „Leserin“, um zu konkretisieren: als „(Freizeit-)Leserin, die mit dem Lesen nicht ihren Lebensunterhalt bestreitet“. Daraus folgert sie: „Nun machen (Freizeit-)LeserInnen […] ja tatsächlich den ganzen Literaturzirkus erst möglich, habe ich gehört. Und welche Stimme haben sie? Ja, eigentlich keine halt.“ Mag alles stimmen, daraus aber die jetzt mehrfach ins Feld gefügte Aufweichung von Ausschließung abzuleiten, überzeugt nicht. Denn die Bloggerin ist nicht die Leserin, also so etwas wie ein hypostasierter Prototyp des Durchschnittslesers. Man muss sich nur ihre Rezensionsübersicht anschauen, um festzustellen, dass sich ihre Lektüren auf anspruchsvolle Gegenwartsliteratur konzentrieren. Mittelmäßigen oder gar seichten Mainstream sucht man vergeblich; aus meiner Sicht: glücklicher Weise. Und das gilt für alle anderen teilnehmenden Literaturblogger nahezu grosso modo ebenso. Aber natürlich findet dadurch eine Ausgrenzung statt, sie wird geradezu betrieben.

Und mehr noch: Da gibt es nicht nur die Separation von Höhenkamm- und weniger anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur, sondern auch eine Trennung zwischen den Genres. Schaut man noch einmal auf die literarischen Vorlieben der bloggenden Protagonisten, so kann man prognostizieren, dass das Schubladenmanuskript eines Kriminalromans oder das einer Fantasygeschichte, mag es an sich literarisch in seinem jeweiligen Genre noch so reizvoll sein, wenig Chancen haben wird, einen Fürsprecher zu finden. Es liegt nicht auf der Welle der Bloggerpaten.

Und ein Letztes dazu, auch wenn mich dieser Aspekt am meisten angreifbar macht, weil man mir vorhalten könnte, aus der Position des Ausgeschlossenen zu argumentieren. Nicht nur der frühe spontane Eindruck, sondern auch eine genauere Recherche im Anschluss bestätigt: Diejenigen, die sich in den etablierten Literaturbetrieb einhaken, sind in hohem Maße immer die gleichen Personen. Man achte darauf, wer in diesem Jahr zu den Buchpreisbloggern zählte, wer den vom Literaturpreisbetrieb unabhängigen und in meinen Augen sehr gelungenen Buchpreisblog betreibt und mit Artikeln bedient, wer bei renommierten Verlagen wie z.B. Suhrkamp im Rahmen der sogenannten Blogger Relations im Fokus steht, so werden die Personalunionen evident. Das ist alles okay, das ist kaum zu kritiisieren. Sich aber mit dem Blogbuster-Literaturpreis dann als belächelten und ignorierten Outsider kenntlich machen zu wollen, der das bisherige Betriebssystem literarischer Distrubution in Frage stellt, ist damit nicht vereinbar.

Und so weiß ich am Ende auch, was mich stört. Nicht, dass es diesen Preis geben wird, denn ich bin durchaus gespannt, wie das Ganze sich entwickelt, sondern die Argumente, mit denen er sich im Literaturbetrieb verorten will, die sind doch recht … na, nennen wir es vorsichtig: unscharf. Aber vielleicht erklärt gerade das, warum ein Denis Scheck der Fachjury vorsitzen wird.