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Martin Walser; Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich. Ein Gespräch

Was für ein Buch wird es denn werden?“, so heißt es gleich zu Beginn. Die Frage, die der Journalist dem Schriftsteller, der Jüngere dem Älteren, der Sohn dem Vater stellt, gilt, vom Ende her gesehen, auch dem Leser. Was für ein Buch ist es denn geworden?

„Ein Gespräch“, das will es der Untertitel zu verstehen geben. So bildet es sich auch in der äußeren Form ab, als Dialog zwischen zweien, der durchgängig beibehalten wird. Aber man muss kein allzu spitzfindiger Leser sein, um festzuhalten, dass es sich um etwas anderes handelt als um eines der zahlreichen Interviews, die Martin Walser in den letzten Jahrzehnten geführt hat und die in Kürze gesammelt nachzulesen sein werden. Es ist nicht die Länge, die dieses Gesprächsbuch unterscheidet, sondern seine Struktur, am Ende sogar seine literarische Überformung. Die Gespräche sind um elf Schwerpunkte herum organisiert, die sich an der Biographie Walsers und an seinen zentralen Themen orientieren, an denen er sich sein Leben lang abarbeitet. Seine Kindheit in Wasserburg, die Prägung durch die Landschaft am Bodensee, seine Schriftstellerwerdung, seine politischen Ansichten, die Stellung Walsers im Literaturbetrieb in all den Jahrzehnten, seine Dauerfehde mit Marcel- Reich-Ranicki, seine Freundschaften, insbesondere mit Siegfried Unseld und Uwe Johnson, die Bedeutung der Liebe für ihn und sein Werk, sein Verhältnis zum Glauben und zur Religiosität.

Nichts, was man nicht schon kennt oder schon mal gehört oder gelesen hat, könnte man einwenden. Ja und Nein zugleich.

Ja, bis in konkrete Formulierungen hinein erkennt man Aussagen Martin Walsers wieder, die er in diesem oder jenem Zusammenhang schon einmal artikuliert hatte. Solche Sätze gehören geradezu zur Dramaturgie der öffentlichen Auftritte des Schriftstellers, weil er weiß, dass „die Leute das Gefühl haben, sie erfahren etwas, was sie sonst nicht erfahren. Sie können lachen, sie werden unterhalten. Darauf kommt es an.“ Walsers Auftritte erinnern deshalb auch in gewisser Weise immer wieder an die Affektdramaturgie antiker Dramen. Und das ist kalkuliert. In den Sätzen steckt etwas Ostentatives, das zur Beschäftigung mit seinen Themen herausfordert, sein Publikum – und ihn selbst auch. Der Begriff der Wortwörtlichkeit bekommt da eine ganz eigene Bedeutungsschicht. Das mag den Zuhörer in den Bann schlagen, dass mag den, dem die Walserschen Themen auf persönliche Weise nachlaufen, interessieren. Ist es nicht dennoch unnötig redundant?

Kommen wir hier zu dem Nein. Das Nein ergibt sich nicht nur aus den jeweils sich verändernden Kontexten seiner Sätze, sondern auch aus der hier in Das Leben wortwörtlich ganz eigenen Kommunikationssituation. Denn das schon außergewöhnliche Vater-Sohn-Verhältnis der beiden Gesprächspartner lässt sich aus den Gesprächen nicht wegdrängen, es schwingt immer mit beim Lesen, ob man nun will oder nicht. Auch wenn der Klappentext des Buches nicht einmal Anspielungen enthält auf den Umstand, dass Walsers Vaterschaft Augstein erst seit 2002 bekannt und seinerseits 2009 öffentlich gemacht worden war, so kann man beim Lesen des Gesprächs das Wissen um diesen Umstand nicht ablegen wie einen Hut. Es liest sich quasi immer mit. Wer aber nun Innensichten aus einem außergewöhnlichen Vater-Sohn-Verhältnis erwartet, wird enttäuscht werden. Das Gesprächsbuch eignet sich nicht zum Boulevard. Mag sein, dass man sich, wie es ebenfalls gleich zu Beginn heißt, ab und an „an der Grenze zur Indiskretion“ bewege, überschritten wird sie nie.

Das wiederum hat seinen Preis. Denn an den einen oder anderen Stellen hätte man sich gewünscht, Augstein habe für sich eine größere Rolle im Gespräch eingeräumt als die des Fragenden und Stichwortgebers. Das schließt das eine oder andere Nachhaken und Insistieren nicht aus, es hätte aber mehr sein dürfen. Erst im letzten Kapitel „Über uns“ wird es kurz konfrontativer, als Jakob Augstein seinen Vater fragt, warum denn „die Kinder hinter den Eltern aufräumen“ müssten. Walser weicht aus, spricht zustimmend von „Ungerechtigkeit, schränkt sie aber zugleich ein, wenn er meint, es sei „keine unübliche“, um dann darauf hinzuweisen, dass er letztlich froh gewesen sei, Töchter zu haben und in seinem Leben „von revoltierenden Söhnen veschont geblieben“ zu sein. Als gebe es keine revoltierenden Töchter, als sei das, was sein Sohn anspricht, ein revoltierender Sprechakt.

Es wäre ein irritierender Abschluss, in dem Martin Walser, der Vater, in einem doch merkwürdigen Licht zurückbliebe. Das wird aber unterlaufen durch einen Kunstgriff. Das letzte Kapitel, so erfährt man ganz am Schluss, sei frei erfunden. Es habe, so in den (vermeintlichen) Worten Walsers, „nicht stattgefunden. Du hast es dir beinahe ganz ausgedacht.“ Stimmt das? Man ist nicht sicher. Was heißt in diesem Zusammenhang „beinahe“? Jakob Augstein hat offensichtlich, sollte der Hinweis auf die Fiktionalität des Ggesagten stimmen, Schreiben als „Enthüllungsverbergungsvorgang“, wie Walser seine eigene existenzielle Erfahrung mit dem Schreiben benennt, inszeniert. Aber vielleicht sagt das letzte Kapitel so mehr über Vater und Sohn, als eine ausformulierte Beziehungsgeschichte erzählen könnte.

Bleibt aber dann nicht doch zu Schluss ein Buch übrig, das sich für den eingefleischten Walser-Leser, aber kaum für eine breitere Leserschaft oder distanziert-kritischere Beschäftigung mit Autor und Werk eignet? Von einem, der sich der erstgenannten Gruppe zurechnet, ist die Frage schwer zu beantworten. Versuchen wir es auf einem Umweg:

Ein kurzes Selbstgespräch

Welche Buch würdest du demjenigen empfehlen, der etwas über den politischen Schriftsteller und Intellektuellen Walser erfahren möchte?

Unbedingt die Sammlung seiner Aufsätze aus über 50 Jahren mit dem Titel Ewig aktuell. Aus gegebenem Anlass, das in Kürze auch als Taschenbuch erscheinen wird.

Was sollte derjenige lesen, der sich mit der Biographie Walsers beschäftigen will?

Natürlich Jörg Magenaus Walser-Biographie, Susanne Klingensteins Erfahrungsbericht Wege mit Martin Walser, aber zuallererst  Walsers autobiographisch gesättigten Roman Ein springender Brunnen. Für die Hartgesottenen schließlich Walsers Tagebücher.

Und wenn man sich für Walsers Verhältnis zu Glaube und Religion interessiert?

Dann Walsers Roman Muttersohn sowie seinen grandiosen Essay Über Rechtfertigung.

Wenn es um die Debatten um Auschwitz oder um Walsers antisemitische Ressentiments geht?

Ich gestehe, die immer wieder geäußerten Antisemitismusvorwürfe gegen ihn halte ich nicht nur für falsch, ich halte sie geradezu für absurd. Aber es bleibt nichts anderes übrig, als an die Texte zu gehen. Tod eines Kritikers ist beileibe nicht Walsers bester Roman, aber man sollte ihn in diesem Zusammenhang schon lesen, außerdem die Sammlung Unser Auschwitz. Trotzdem reichen Walsers eigene Äußerungen sicherlich nicht aus. Die von Frank Schirrmacher herausgegebene Dokumentation Die Walser-Bubis-Debatte ist zwar mittlerweile fast 20 Jahre alt und nur noch antiquarisch zu bekommen, aber in diesem Zusammenhang immer noch lesenswert.

Du nennst so viele Titel. Heißt das nicht doch, man kann auf Das Leben wortwörtlich verzichten?

Auf gar keinen Fall.


Martin Walser; Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich. Ein Gespräch. – Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 2017 (€ 19,95).