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Wolf Haas: Junger Mann

Liebe Sigrid Löffler,

Respekt, da haben sie unlängst zum Jahresende noch einmal richtig einen rausgehauen, den Text hingeknallt mit einer Verve, so als habe das unbedingt noch gesagt werden müssen, bevor das Christkind kommt und ein paar Tage später die Sektkorken und Feuerwerkskörper knallen. Schade eigentlich, dass ich Ihre Verlautbarungen erst ein paar Wochen später wahrgenommen habe; gerne hätte ich früher geantwortet.

„Produkte eines verblendeten Narzissmus“ – das ist der Leisten, über den Sie gleich fünf Romane von Autoren, alle männlich, schlagen. Schlagen, ja das trifft es ziemlich genau. Wolf Haas‘ aktueller Roman Junger Mann, Hilmar Kluthes Was dann nachher so schön fliegt sowie die Romane von Hanns-Josef Ortheil, Thomas Klupp und Dirk Knipphals wird der Garaus gemacht.

Im Gegensatz zu Ihnen gelingt es mir nicht, in relativ kurzer Zeit mindestens rund 1.800 Seiten Romanliteratur zu bewältigen, deshalb kenne ich auch die neuen Texte der drei letztgenannten Autoren nicht, die beiden anderen aber schon. Auf Kluthes Roman will ich zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle eingehen, hier soll es um Junger Mann gehen. Aber so viel sei zu beiden Romane gesagt: Sie tun ihnen Unrecht – und Sie tun es in einer Art und Weise, die ich nicht kommentarlos stehen lassen möchte.

Denn Sie verschließen sich ihrer Qualität, warum auch immer. Vielleicht hat es etwas mit dem schon angesprochenen Leisten zu tun. Die Vermutung zumindest liegt nah, wenn sie hingehen und den Versuch unternehmen, diese Romane gegen die aktuellen Prosaveröffentlichungen einer Reihe von Autorinnen auszuspielen:. „Frauen erklären die Welt, Männer nur sich selbst.“ Bevor Sie sich empören, gestehe ich gleich: das Zitat ist der Bildunterschrift unter Ihrem Konterfei auf der oben verlinkten Internetseite entnommen und entstammt wahrscheinlich der Feder eines Redaktionsmitarbeiters oder einer -mitarbeiterin des Deutschlandfunks. Aber erstens hätten Sie gegen ein solch zuspitzendes Resümee intervenieren können und zweitens ist nachvollziehbar, wie der Textredakteur oder die -redakteurin dazu kommt. Sie formulieren es ohne Zweifel eleganter, subtiler: „Die Frauen legen die Hand auf die ganze Welt“, um im Anschluss daran die These durch ein wenig Namedropping stark zu machen. Ursula Krechel nennen Sie, Inger-Maria Mahlke, Katharina Adler, Karin Druve und Juli Zeh. Auch hier muss ich wieder zugestehen, dass ich deren letzte Romane nicht alle kenne, aber für die, die ich kenne, trifft Ihre Bemerkung, die ein bisschen nach sentimentalem Tutzi Tutzi Tutzi klingt, auch nicht zu. Ich mag aber gerne ergänzen: glücklicherweise.

Sehen Sie es mir nach, dass ich es so deutlich sage, aber die Metapher vom Handauflegen auf die ganze Welt ist schon ziemlich daneben. Mit Verlaub, ihre „Hand auf die ganze Welt legen“, das tun verbal und latent in ihrem Treiben die Herren Donald Trump, Xi Jinping, Wladimir Putin und der eine oder andere aus der zweiten Reihe dieses Panoptikums auch. Alles Männer! Ich möchte gar nicht allzu polemisch werden, aber was zeigt das? Doch nur, dass dieses „Hand auf die ganze Welt legen“ weder als eine ethische, noch als eine ästhetische Kategorie taugt. Und wenn man gar versucht, diese Metapher auf Welterklärungsversuche zuzuspitzen, wird es ja nur noch schlimmer. Den Versuch, die Welt zu erklären, unternehmen nicht nur solche Leute wie der amerikanische Präsident doch jeden Tag (und das sogar auf der Grundlage eines erstaunlich reduzierten individuellen Wortschatzes), sondern neben ihm zahlreiche andere wie zum Beispiel, na sagen wir: Alexander Gauland.

Zudem, Frau Löffler, demjenigen Leser (oder Leserin), der die Welt erklärt haben möchte, dem raten wir doch nicht zur Literatur. Der möge doch etwas seriös Politologisches, Soziologische, Historisches oder Philosophisches lesen. Aber bitte doch keine Literatur, Literatur, deren, Eigenart und Qualität doch gerade darin liegt, die Welt nicht erklären zu können, der die hypertrophe Geste, der Welt die Hand aufzulegen, nicht gelingt, nicht gelingen will, die am Unerklärlichen der Schreckenszusammenhänge dieser Welt vielleicht verzweifelt, am Unvermögen und Versagen, das sich zu häufen scheint, eine Literatur, die aus dem schmerzhaften Riss, der durch sie selbst geht, ihre ästhetischen Energien gewinnt. Ein Ausdruck solcher Energiegewinnung kann dann, Sie wissen das als literarisch ausgesprochen kundige Frau doch ganz genau, durchaus der literarische Humor sein. Wie bei Wolf Haas. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen.

Denn überstrapazieren will ich Ihre Geduld nun auch wieder nicht und endlich zum eigentlichen Anlass meines Briefes kommen, zu Wolf Haas‘ jüngstem Roman Junger Mann, der ja als erstgenannter unter ihr Narzissmusverdikt gefallen ist. Ihnen erscheint der Blick auf die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts aus der Perspektive eines am Ende Fünfzehnjährigen als bloße Selbstversunkenheit des Autors in Nostalgie. Dabei übersehen Sie mindestens zwei Aspekte, die die pubertären Liebesnöte und Fastenqualen der zu dick geratenen Hauptfigur rahmen und prägen. Das sind die durchaus schwierigen familiären Verhältnisse des Jungen und das sind die sorgfältig aufgearbeiteten und in Erscheinung tretenden Zeitverhältnisse. Sie sind deutlich mehr als bloßes Kolorit für die Darstellung einer heranwachsenden narzisstischen Seele; sie beeinflussen dessen Lebensgeschichte. So ist, wie mir scheint, die Handlung nicht ohne Grund oder aus bloß autobiographischen Zusammenhängen des Autors geschuldeten Zeit der ersten Ölkrise eingebettet, die Zeit, in der wohl zum ersten Mal deutlich wurde, was passieren kann, wenn die Automobilfixiertheit der modernen Gesellschaft auf Ressourcenverknappung trifft, wenn man per Pickerl an der Windschutzscheibe zeigt, an welchem Wochentag man gezwungenermaßen auf sein Auto freiwillig verzichten will.

Mag sein, werden Sie vielleicht entgegnen, und direkt dagegen halten, dieser ganze sentimentale Liebeskram des Jungen sei trotzdem nur die postpubertäre Ausgeburt eines selbstverliebten Autors. Vorsichtig, ganz vorsichtig, kann ich da nur antworten. Den Liebesnöten der jungen Droste, wie sie uns in Karin Druves Roman entgegentritt, gestehen Sie Welthaltigkeit zu, denen des jungen Mannes aber nicht? Warum? Weil die Liebesnöte der einen sie hat zur Autorin reifen lassen, deren Texte in den literarischen Kanon eingegangen sind? Oder vielleicht weil sie eine Frau ist?

Können Sie wirklich nicht nachvollziehen, was es einem jungen Menschen bedeutet, wenn ein anderer etwas weniger, aber immer noch junger Mensch Liebessehnsucht und sexuelle Phantasie entfacht? Können Sie nicht? Dann wünsche ich Ihnen wirklich von Herzen, dass Sie nur eine Gedächtnislücke, aber keine Erfahrungslücke haben.

Dabei würde ich, wenn Sie nicht so harsch (ver-)urteilen würden, gerne darüber diskutieren, ob die Figur der Elsa nicht tatsächlich etwas unglücklich gezeichnet ist. Kann sich eine Zwanzigjährige tatsächlich so naiv gegenüber den Avancen eines Vierzehnjährigen verhalten? Ist das verantwortungslos? Oder nur dumm? Na ja, so viel kann man immerhin sagen: So sympathisch die Elsa daherkommt, die hellste Leuchte unter der Sonne ist sie nicht. Aber ihr gelingt es am Ende des Romans, intellektuelle und soziale Hürden zu überwinden. Und sie führt eine stabile Lebens- und Liebesbeziehung zu ihrem Tscho. Es gibt genügend hellere Leuchten, die solch glücklich scheinende Verhältnisse für sich nicht veranschlagen können.

Alles, was so an Nöten und Konflikten aufscheint, scheint sich am Ende gelöst zu haben. Selbst Tscho, dieser Macho-Mann, scheint gereift. Mit großer und sensibler Beobachtungsgenauigkeit gelingt es Wolf Haas doch aufzuzeigen, wie sich das Verhältnis des jungen Mannes zu ihm verändert, wie für Letztgenannten aus dem zweifelhaften Vorbild zumindest für einen kurzen, aber eben wichtigen Lebensabschnitt ein Freund wird, um den man sich kümmern muss.

Insofern, ja, der Roman hat ein Happy end, und nicht einmal ein schales. Vielleicht ist es das, was Sie so misstrauisch macht, Sie so unleidlich reagieren lässt. Diese in Ihren Augen selbstverliebte Pubertätsgeschichte ist ein durchaus gelungener Coming-of-Age-Roman. Eigentlich mag ich solche etikettenhaften Genrebezeichnungen nicht sonderlich, aber wenn sie der Abwehr ungerechtfertigter Polemik dienen können, nehme ich sie gerne in Anspruch.

Denn Junger Mann ist ja zudem, was nicht vergessen werden sollte, ganz wunderbar erzählt. Geprägt von einem doppelbödigen Humor, der den Leser nicht selten mitschmunzeln, seltener lachen lässt. Wolf Haas gelingt es mit ganz feiner Feder und solch alles durchdringendem Humor Nähe und Distanz zum Erzählten einen Klang zu verleihen, in dem das Dur überwiegt, ohne das Moll zum Schweigen zu bringen. Insofern hat dieser Humor etwas von dichterischer Einbildungskraft; was ich damit meine, muss ich ja nicht näher erläutern, das kennen Sie.

Wenn, Frau Löffler, nun gar nichts hilft, um einen weniger erzürnten Blick auf den Roman zu werfen, dann nehmen Sie doch zumindest dessen letzten Satz einmal ernst, diesen typischen Wolf-Haas-Satz: „Rückwärts durch die Knie betrachtet, war die Welt schon immer am interessantesten.“ Und wenn es mit dem Ernstnehmen allein nicht gehen sollte, versuchen Sie’s mal. Sie werden sehen.

In diesem Sinne ein herzliches Servus!


Wolf Haas: Junger Mann. Roman. – Hamburg: Hoffmann und Campe 2018.