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Christoph Wortberg: Der Ernst des Lebens…

Mein Bruder war ein Held.

So endet der Prolog von Christoph Wortmanns Jugendroman, der in wenigen Sätzen eine immer tiefgründigere Definition von Heldentum zu formulieren versucht und schließlich beim Bruder endet. Dann ist ja alles klar, könnte man meinen. Einen Erzähltext, der sich einreiht und Bezug nimmt auf eine hochkarätige Reihe von Bruderzwist-Geschichten habe ich als Leser wohl nicht zu erwarten. Was an dem Satz aber sofort irrlichtert, ist das Prädikat. Leuchtet es zurück auf das Subjekt des Satzes, dann zeigt es an, dass er nicht mehr ist. Scheint es voraus auf das Objekt des Satzes, dann bedient es die Vermutung, der Bruder sei zwar ein Held gewesen, habe diesen Status aber nunmehr eingebüßt.

Genau zwischen diesen Polen spannt Christoph Wortberg die Geschichte von Lenny, dem Ich-Erzähler, und seinem Bruder Jakob aus, der bei einem Bergunfall verunglückt ist. Der Roman startet mit einer Alptraumszene. Lenny erzählt vom letzten Besuch beim verunglückten Bruder im Krankenhaus, bei dem die Maschinen, die die Vitalfunktionen noch aufrecht erhielten, abgeschaltet werden. Es ist eine furchtbare Situation, doch zugleich entsteht der Eindruck, dass der Junge derjenige ist, die sie noch am besten bewältigt, während seine Eltern vollkommen starr und hilflos sind. Wer will es ihnen verübeln?

Was hier schon in der konkreten, sehr eindrücklich geschilderten Situation deutlich wird, zeigt sich durch den ganzen Roman hindurch: Es ist letztlich die Geschichte eines Emanzipationsprozesses, den Lenny durchläuft. Er entwickelt in einem höchst schmerzhaften Prozess ein neues Verhältnis zu seinem Bruder, der bisher das große Vorbild war. Ihm gelingt es am Ende, die Fassade zu durchbrechen, die seine Eltern, insbesondere sein Vater um die Familie aufgebaut hatte, und er entdeckt die Liebe. Zu Rosa, die in einem lange ungeklärt bleibenden Verhältnis zu seinem Bruder stand. So viel sei hier verraten: sie war nicht dessen Freundin.

Wie gelingt dieser Befreiungsprozess? Relativ schnell verfestigt sich bei Lenny der Eindruck, dass an dem Unfall, bei dem Jakob abstürzte, etwas nicht stimmt. Er beginnt, seinen Ahnungen nachzugehen, zu recherchieren und stellt fest, dass sein Vorzeigebruder, sein Vorbild, die große Hoffnung seiner Eltern, der Spitzenschüler und Einserabiturient, der stets gut gelaunte Macher, der junge Mann, dem die Zukunft offen zu stehen schien wie kaum einem zweitem, dass dieser „everybody’s darling“ sich mit Absicht die Felswand hinuntergestürzt hat. Er wollte nicht mehr!

Lenny deckt die Zusammenhänge auf. Dabei spielt der Roman durchaus mit Spannungselementen aus der Kriminalliteratur und erzeugt Lesesog. Mindestens ebenso packend sind aber auch die Gespräche, die Lenny mit seinem toten Bruder in Gedanken führt. So paradox es klingt, es sind im Wesentlichen die Stimmen des Bruders, die Lenny ermöglichen, wieder und vielleicht sogar stärker als vor Jakobs Tod eine lebensbejahende Haltung zu entwickeln.

Christoph Wortmann hat einen ausgesprochen zuversichtlichen Roman über die zunächst sehr traurige Lebenssituation eines Jugendlichen geschrieben. Dem Buch wünscht man viele jugendliche (und auch erwachsene) Leser und durchaus auch einen Einzug in Deutschunterricht. Der Roman ist nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2015 im Bereich Jugendbuch. Die Nominierung spricht für sich; es muss nicht  dabei bleiben.


Christoph Wortmann: Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß. Roman. – Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2014 (12,95 €)