Jakob Hein: Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste

Der Eintritt ins Berufsleben markiert schon immer einen Einschnitt in das Leben junger Menschen, hüben wie drüben, gestern wie heute. So ist es dann auch nicht ungewöhnlich, dass Jakob Hein seinen Roman über Grischa Tannberg genau damit beginnen lässt, 1981 in der DDR. Hat man nach einigen Lesestunden den Roman mit dem Bedauern beendet, dass die Lektüre nun vorbei ist, fragt man sich allerdings, ob dieser Grischa wirklich die Hauptfigur ist. Oder ist es nicht eher diese ‚verwegene Idee‘, die ja nun auch Teil dieses schönen Romantitels ist? Oder, so ist man amüsiert bereit festzuhalten, ist es der Stoff, durchaus im doppeldeutigen Sinne, der die Handlung trägt: Cannabis aus Afghanistan? „Medizinalhanf“, so will es die offizielle Sprachregelung.

Doch bevor wir dazu kommen, noch einmal ein kurzer Blick auf Grischa selbst. Er hat bis zum Einsetzen der Romanhandlung die Sozialisation von Kindern „gute(r) und einflussreiche(r) Genossen“ erfahren. Sein Vater ist 2. Sekretär der Geraer Bezirksleitung, seine Mutter Kaderleiterin im Kombinat VEB Zellstoff- und Papierfabrik. Spätestens seit der Corona-Epidemie wissen wir, wie wichtig den Deutschen die Versorgung mit Toilettenpapier ist. Beide Eltern arbeiten also in Positionen, die man einige Jahrzehnte später „systemrelevant“ nennen wird.

Man kann sich die Stationen in Grischas Kindheit und Jugend vorstellen: Jugendweihe, EOS und Abitur, Militärdienst, Studium an der Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner, Sektion Außenwirtschaft, Abschluss als einer der Besten des Jahrgangs. Phasen jugendlicher Unangepasstheit, gar der Rebellion werden nicht erwähnt. Man darf wohl annehmen, es hat sie nicht gegeben. Nur seine Liebe zum Film, durchaus zum Avantgarde-Film, hat das leichte Potenzial zu etwas Dissidentischem, wird den Rahmen aber nie sprengen.

Jetzt jedenfalls wird alles anders. Jetzt beginnt Grischas Berufslaufbahn als „Jungaktivist“ in der Staatlichen Planungskommission mit Sitz in der Leipziger Straße, Ost-Berlin. Das Problem: In der Abteilung für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Demokratischen Republik Afghanistan, die nur aus einer einzigen Person besteht, Ralf Burg, gibt es nichts zu tun; nicht zuletzt, weil die afghanische Wirtschaft nichts anzubieten hat, mit dem Handel getrieben werden könnte. Um aber die Bedeutung der Abteilung hervorzuheben, um letztlich die eigene, wenig stressbelastete Funktionsstelle – das ist eine eher euphemistische Beschreibung des zu bewältigenden Arbeitsvolumens – zu sichern, hat Ralf Burg eine weitere Planstelle beantragt – und bewilligt bekommen.

Genau die besetzt nun Grischa Tannberg und sucht Beschäftigung. Der Jungaktivist entwickelt zum Leidwesen Burgs einen erheblichen Aktivismus und erstellt einen „Afghanistan-Plan“. Er sieht, grob gesagt, vor, afghanischen Bauern ihren „Medizinalhanf“ abzukaufen, ihn am Grenzübergang Invalidenstraße an Westberliner weiterzuverkaufen und mit den hereinkommenden Devisen den eigenen Wirtschaftskreislauf zu stärken. Der hat es bekanntermaßen nötig.

Mit diesem Plan kommt nun eine Handlung in Gang, die zum höchst unterhaltsamen Pageturner wird, ohne in seichten Gewässern auf Grund zu laufen. Lachen ist garantiert, billige Schenkelklopfer Fehlanzeige. Sie, die Handlung, an dieser Stelle nachzuerzählen, würde dem garantierten Lesevergnügen unnötig vorgreifen, ob der zahlreichen Wendungen und politischen Verwicklungen. Nur so viel: Grischas Plan entpuppt sich als ein Erfolgskonzept – zumindest aus Sicht der DDR – und führt schließlich zu einem deutsch-deutschen Geheimtreffen auf sehr hoher Ebene irgendwo im bayrischen Grenzland. Dabei geht es ausschließlich um diesen „Medizinalhanf“ und seine Auswirkungen auf die innerdeutschen Beziehungen – anders aber, als vielleicht zunächst erwartet. Die bilateralen Verhandlungen werden ziemlich steinig. Vielleicht könnte man auch sagen: stoned?

Dass die beiden neuen Romane von Vater und Sohn Hein fast zeitgleich erschienen sind, ist sicherlich Zufall. Der verbietet aber nicht den vergleichenden Blick. Was Christoph Hein in „Das Narrenschiff“ mit Blick auf die gesamte Geschichte der DDR, aber zugleich konzentriert auf deren innere Entwicklung als Tragödie erzählt, erzählt Jakob Hein konzentriert auf einen deutlich engeren historischen Ausschnitt, aber zugleich erweitert um den Blick über die Mauer hinweg, als Komödie, streckenweise als Farce. Beim älteren Hein liegt es in der Logik der Romankonstruktion, dass man ein heiteres Darüberstehen vergeblich sucht, dass „Das Narrenschiff“ in manchen Passagen auch dröge daherkommt. Jakob Hein begleitet die handelnden Figuren und den gesamten Plot mit Humor und Ironie. Wenn nicht gerade historisch reale, politische Entscheidungsträger in den Blick geraten, setzt er seine Protagonisten und Protagonistinnen aber nie dem Verlachen oder gar dem Spott aus. Ihnen, die alles andere sein wollen als Systemkritiker oder sogar Systemsprenger, wird ein persönlich wohlwollender und positiver Ausgang aus den Verwicklungen zugestanden. Aber – wen wundert es bei diesem, in seiner schwelenden Ernsthaftigkeit wunderbar heiteren Roman – auch anders als erwartet.

Jakob Hein: Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste. Roman. – Berlin: Galiani Verlag 2025.

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