Henning Mankells „Sofia“-Trilogie

Mankel, Sofia-Trilogie

Henning Mankells Gesamtwerk umfasst deutlich mehr als 50 Romane, Erzählungen, Dramen und Essays. Die zahlreichen Drehbücher, Audioproduktionen, verstreut publizierten Texte und Interviews sind dabei noch unberücksichtigt. Bei dieser Fülle kann man leicht den Überblick verlieren. Deshalb wundert es nicht, wenn immer wieder versucht wird, das Werk zu ordnen. Möglich sind gleich vielerlei Kategorien. Auf die Prosa bezogen hieße das zum Beispiel: die Kriminalromane einerseits und die übrigen längeren Erzähltexte andererseits; die Afrika-Romane hier und jene, die in Europa, vor allem in Schweden spielen, dort; dann die Romane für Erwachsene und die Kinder- und Jugendbücher. Die Ordnungskriterien ließen sich verfeinern, etwa indem man noch einmal zwischen den Wallander-Romanen und den übrigen Krimis unterscheidet.

Sie lassen sich, so hilfreich sie beim Sortieren sein mögen, aber ebenso in Frage stellen. Am Problematischsten sind dabei vielleicht die Kontinentalzuordnungen. Sowohl Jugendbücher als auch Romane ‚für Erwachsene‘ spielen in Afrika, genauer gesagt auf der Südhalbkugel des Kontinents. Auf einige Romane trifft eine solche Kontinentalverortung gar nicht zu. So hat zum Beispiel Der Chinese (2008) schon nahezu einen globalen Zuschnitt, spielt im südlichen Afrika, in Asien und in Europa. Der Wallander-Krimi Die weiße Löwin (1993, dt. 1995) ist in Südschweden und in Südafrika verortet.

Eine Zuordnung aber, ja geradezu ein Markenzeichen, mit dem Henning Mankell im öffentlichen Bewusstsein präsent ist, sind seine Wallander-Romane. Sie sind es, die seinen internationalen Ruhm begründet haben und auch immer noch forttragen. Sie haben das Genre des Skandinavienkrimis in den zehn Jahren vor und nach dem Jahrtausendwechsel wesentlich beeinflusst und geprägt. Schließlich haben sie Mankell zu einem international bekannten und anerkannten Autor gemacht und ihm selbst die Möglichkeit verschafft, mit seinen politischen und sozialen Anliegen gehört zu werden. Die beziehen sich vor allem auf Unterdrückung, soziale Ungerechtigkeiten und die Folgen von Armut und sie fokussieren sich oft auf das südliche Afrika, vor allem auf Mozambik, wo Mankell selbst einen Wohnsitz hatte und als Theaterleiter arbeitete. Über sein politisches und kulturelles Engagement wiederum wurde er dann auch als „Afrika-Autor“ bekannt, obwohl man sicherlich feststellen muss, dass diese Romane in der literarischen Öffentlichkeit im Vergleich mit seinen anderen Büchern weniger Beachtung fanden.

Das hatte sicherlich seine Gründe. So muss man wohl eingestehen, dass eine Reihe der auf der afrikanischen Südhalbkugel spielenden oder die Probleme der afrikanischen sogenannten „Dritten Welt“ thematisierenden Romane nicht immer zu seinen stärksten literarischen Texten gehörten. Tea Bag (2001; dt. 2003) oder auch die Erinnerung an einen schmutzigen Engel (2011; dt. 2012) sind Romane, die mich literarisch kaum überzeugten. Ein Weiteres liegt sicherlich in dem Umstand, dass „uns“ – und damit meine ich einmal recht pauschal die deutsche oder europäische literarische Öffentlichkeit – Afrika nicht so sonderlich interessiert. Schon die gängige Kategorie „Afrika-Romane“ zeigt ja schon eine Tendenz zur Pauschalisierung und Vermessenheit, die dem facettenreichen Phänomen der afrikanischen Kultur und Literatur nicht gerecht wird. Man stelle sich vor, man würde Karl Ove Knausgårds Min Kamp-Bücher als Europa-Romane bezeichnen! Vor kurzem hat Mariki auf ihrem Blog Bücherwurmloch eingestanden, dass sie „nichts anfangen kann mit dem Afrikanischen“.  Sie bezieht sich zwar auf Literatur aus Afrika, aber man kann diese Art der Wahrnehmung wohl auf solche, die Afrika zum Thema macht, erweitern. Das ist nicht borniert, sondern ehrlich, und vor allem scheint mir, es ist symptomatisch. Mir zumindest geht es da nicht wesentlich anders.

Der Kinder- und Jugendbuchautor

Schwieriger wird es noch einmal, wenn man auf Mankells Kinder- und Jugendbücher blickt. Die Wallander-Romane haben das Bild vom Autor so stark geprägt, dass man heute schon daran erinnern muss, dass der bis dato unbekannte Mankell auf den deutschsprachigen Buchmarkt zuerst mit einem Jugendbuch in Erscheinung trat. Der Hund, der unterwegs zu einem Stern war (1990; dt. 1992), war sein erstes Buch auf deutsch, das dann auch im Jahr darauf den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt. Dann aber trat Kurt Wallander auf den Plan und verstellte den Blick auf den Jugendbuchautor. An der Stelle wurde Mankell so etwas wie das Opfer seines eigenen Erfolgs. So ist es wie bei einer doppelten Gardine, die den Blick erschwert. Das Jugendbuch erscheint plötzlich als Nebenwerk, und das erst recht, wenn es auch noch die Handlung auf den afrikanischen Kontinent verlegt. Der Chronist der Winde (1995; dt. 2000), wohl auch eher ein All-Age-Roman, wurde zwar ein großer literarischer Erfolg, blieb aber insgesamt die Ausnahme.

So ist es schon allein aufgrund dieses Umstands begrüßenswert, wenn DTV die „Sofia“-Trilogie in schönen und in der Buchgestaltung aneinander angepassten Ausgaben wieder auf den Markt bringt. Der erste und der letzte Band sind zwar auch noch bei Oetinger lieferbar; dort scheint das Angebot allerdings auszulaufen. Ohnehin wäre es für die Mankell-Leser  wünschenswert, wenn dessen Werk bei Zsolnay und DTV gebündelt würde.

Sofia Alface Fumo

Über drei Bücher begleitet Henning Mankell seine Hauptfigur Sofia, deren vollständiger Name nur ganz selten genannt wird. Erst im letzten Buch Der Zorn des Feuers setzt sie ihn selbst einmal ganz bewusst unter einen Brief, Ausdruck ihres gewonnenen Selbstbewusstseins als mittlerweile 19-jährige junge Frau.

Doch der Reihe nach.

Mozambik
Dorfhütten in Mozambik

Über zehn Jahre lang beschäftigt sich Mankell mit der Lebensgeschichte Sofias. Das erste Buch Das Geheimnis des Feuers erschien 1995 (dt. 1997); 2001 kam Das Rätsel des Feuers (dt. 2002) auf den Buchmarkt; beendet wurde die Trilogie 2007 mit Der Zorn des Feuers (dt. 2008).

In den Mittelpunkt des ersten Bandes Das Geheimnis des Feuers rückt der Autor eines der zentralen Probleme, mit dem Mozambik sich am Ende einer 16 Jahre lang andauernden, unglaublich brutalen und verlustreichen Bürgerkriegszeit, also nach 1994 auseinandersetzen musste: der Verminung weiter Landstriche. Die Geschichte beginnt wohl gegen Ende des Bürgerkriegs. Sofia, hier neun Jahre alt, muss mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus ihrem Dorf fliehen. Das war von vagabundierenden Freischärlern angegriffen worden. Ihr Vater wurde bei dem Angriff ermordet, der Rest der Familie konnte knapp entkommen. Sie findet schließlich Zuflucht in einem anderen Dorf, vielleicht ein extra eingerichtetes Flüchtlingsdorf, kommt langsam zur Ruhe, Alltag zeichnet sich ab.  Für einen nur ganz kurzen Moment unachtsam tritt Sofia beim gemeinsamen Spielen mit ihrer ein Jahr älteren Schwester Maria, die viele für ihre Zwillingsschwester gehalten haben, auf eine Landmine. Maria stirbt, Sofia verliert beide Beine.

Doch das ist eigentlich nur Vorgeschichte. Im Mittelpunkt des Romans steht Sofias Kampf, wieder ins Leben zurückzukehren. Da sind nicht nur die unvorstellbaren Schmerzen nach dem Verlust der Beine, die Anstrengungen, auf Prothesen wieder laufen zu lernen, die Selbstvorwürfe, am Tod der Schwester schuld zu sein. Da sind auch die sozialen Probleme, die sich aufgrund ihrer Behinderung einstellen. Es erweist sich als schwierig, in ihrem Dorf zu leben. Der Mann, mir dem ihre Mutter Lydia zwischenzeitlich zusammenlebt, will keine behinderte Tochter im Haus. Die Konflikte eskalieren. Schließlich aber zeichnet sich eine Zukunftsperspektive ab, die im Wesentlichen daher rührt, dass Sofia immer wieder auch auf Menschen trifft von großer Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit.

Das Rätsel des Feuers nimmt die Grundstruktur und die Figurenkonstellation wieder auf, ohne in allen Teilen die Geschichte passgenau weiterzuerzählen. Sofia ist mittlerweile 14 Jahre alt, hat sich mit ihrem Leben als Schwerbehinderte so weit es geht arrangiert. Sie geht zur Schule und trägt mit ihren Näharbeiten dazu bei, dass die Familie Geld verdient.

In diesem wie in allen anderen Romanen der Reihe zieht sich ein Motiv als roter Faden durch alle Ereignisse, nämlich die große, große Armut, mit der die Menschen in Mozambik ringen. Eindringlich wird geschildert, mit welch ungeheurem Aufwand sie ihren spärlichen Lebensunterhalt verdienen müssen, wie schnell sie in existenzielle Bedrängnis kommen, wenn sie krank werden.

Der Zusammenhang von Armut und Krankheit wird im südlichen Afrika vor allem am Umgang mit Aids ersichtlich. Während in der westlichen Welt diese Infektionskrankheit zwar nach wie vor nicht heilbar, aber therapierbar ist und ein weithin normales Leben ermöglicht, scheitert ein vergleichbarer Therapiestandard in Afrika am Geld. Infektions- und Sterberate sind dort nach wie vor überproportional hoch.

Diese Krankheit trifft Sofias ältere Schwester Rosa. Die pubertierende Vierzehnjährige verfolgt irritiert wie fasziniert das Leben der Älteren und ist die erste, die die auftretenden Krankheitssymptome bei Rosa intuitiv richtig einordnet, freilich ohne sie benennen zu können. Ihre Mutter Lydia, die ein weiteres Kind zu verlieren droht, klammert sich hingegen an archaische Rituale, die ihr schließlich nur das wenige Geld kosten, das sie hat. Am Ende wird Rosa sterben.

Dieser Haupterzählstrang wird mit zwei weiteren verbunden. Zum einen wird die Familie bedroht durch den Versuch, illegal Land zu enteignen. Zum anderen verliebt sich Sofia aber selbst zum ersten Mal in einen Jungen, dem sie zunächst zufällig begegnet, den sie aber nicht vergessen kann.

Fünf Jahre später, Sofia ist also mittlerweile 19 Jahre alt, ist sie mit diesem Jungen, Armando, verheiratet. Zu Beginn von Der Zorn des Feuers hat sie  mittlerweile selbst zwei Kinder, wohnt aber mit ihrer Familie bei ihrer Mutter. Ihr Mann arbeitet als Automechaniker in einem kleinen Betrieb in der Stadt, die so weit vom Dorf entfernt liegt, dass er nur am Wochenende nach Hause kommen kann. Derjenige, zu dem Sofia die engste emotionale Beziehung hat, ist ihr Hund Lokko.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die Krise und das Scheitern der Ehe, die schließlich in einer furchtbaren Katastrophe endet. Aus dem „Mondjungen“ des vorherigen Romans ist hier ein charakterschwacher und gewalttätiger junger Mann geworden. Ihm fällt es offensichtlich besonders schwer, einen Standpunkt zu finden zwischen den stabilen sozialen, aber durch Armut geprägten Verhältnissen im Dorf und den kapitalistischen Verlockungen, die ihm in der Stadt begegnen, ohne dass er eine realistische Chance hätte, daran teilhaben zu können.

Sofia durchläuft einen schmerzlichen Ablösungsprozess. Sie erkennt, dass ihr Mann nicht derjenige ist, für den sie ihn gehalten hat, und dass es für sie keine gemeinsame Zukunft gibt. Gleichwohl fühlt sie sich für den mittlerweile Kleinkriminellen verantwortlich, wenn auch erfolglos. Weil er Menschen betrogen hat, die noch ärmer sind als er selbst, und dabei erwischt wird, kommt er auf grausige Art ums Leben. Für Sofia aber zeichnet sich am Ende des Romans bei allem erfahrenen Leid eine Perspektive ab.

Lesenswert

Henning Mankells „Sofia“-Trilogie ist eine Sammlung von Jugendromanen. Insofern sind die Bücher sprachlich und ästhetisch adressatenorientiert geschrieben und wurden, so weit ich das beurteilen kann, von Angelika Kutsch mit großem Gespür für die Eindringlichkeit des Dargestellten übersetzt. Der Verlag empfiehlt die Romane ab einem Lesealter von vierzehn Jahren. Mir scheint, dass man sie auch jüngeren Lesern nahe bringen kann, vom Zorn des Feuers aufgrund des wirklich grausigen Todes von Armando vielleicht abgesehen. Mankell gelingt es, in einfacher Sprache die Geschichte des Mädchens, die weitgehend von einem personalen Erzähler erzählt wird, dem jugendlichen, aber auch dem erwachsenen Leser nahezubringen. Die Art und Weise, wie das Leben dieses Mädchens geschildert wird, ist wirklich eindringlich und berührend im besten Sinne. Der junge Mensch muss nicht mal alle Romane lesen; dem Erwachsenen sei aber die gesamte Trilogie empfohlen. Wenn es diesen Jugendromanen gelingt, uns den Süden Afrikas ein wenig näher zu bringen, der aus unserem Wahrnehmungsraster aktueller Krisenherde herauszufallen droht, dann ist viel gewonnen.


Henning Mankell: Das Geheimnis des Feuers. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. – München: dtv Verlagsgesellschaft 2016 (€ 9,95)

—: Das Rätsel des Feuers. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. – München: dtv Verlagsgesellschaft 2016 (€ 9,95)

—: Der Zorn des Feuers. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. – München: dtv Verlagsgesellschaft 2016 (€ 9,95)

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Bildquelle im Text: https://pixabay.com/de/armut-mosambik-arme-bruchbude-509491/

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