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Katrine Engberg: Blutmond

Wer einen Krimi liest, erwartet, insofern die Aufklärung eines Verbrechens und nicht dessen Entstehung im Vordergrund steht, auch Persönliches über die Ermittler zu erfahren. Gerade in Krimireihen werden deren Lebenszusammenhänge und Entwicklungen zum Bindeglied zwischen den einzelnen Büchern und Fällen. Ja, man kann vielleicht sogar behaupten, dass solche Erzählkonstruktionen zum Erfolgsrezept gehören und mittlerweile den klassischen Detektivroman haben in den Hintergrund treten lassen. Das birgt Risiken, und zwar immer dann, wenn die Balance zwischen Kriminalfall und Ermittlergeschichte zu kippen droht. Als gelungen und gut erweist sich ein Krimi dann, wenn er auf dieser Ebene ausgewogen Lesererwartungen bedient oder zumindest berücksichtigt und wenn es ihm gleichwohl gelingt, nicht nur den Spuren des Mainstreams der Kriminalliteratur zu folgen. Katrine Engberg ist das nach dem Erfolg von Krokodilwächter mit ihrem zweiten Kriminalroman Blutmond, der in Dänemark schon 2017 erschien, erneut vollauf gelungen.

Dabei startet Blutmond weniger zäh als der Erstling der mittlerweile vom Verlag ebenso reißerisch wie unnötig als „Kopenhagen-Thriller“ vermarkteten Reihe. Mag allerdings sein, dass dieser Eindruck geprägt ist durch die mit Krokodilwächter gewonnene Leseerfahrung, dass man dem Erzählstil und der Romankonstruktion vertrauen darf.

Der Roman spielt in einem zeitlich relativ eng abgesteckten Zeitraum von nur sieben Tagen zwischen Donnerstag, dem 28. Januar, und Mittwoch, dem 03. Februar. Im Kontext des Erzählten kann es sich demnach nur um das Jahr 2016 handeln. Der Blutmond ist dann allerdings eine Erfindung der Autorin und dient der metaphorischen Aufladung sich zuspitzender Erzählepisoden. Ebenso die Wetterverhältnisse in der Stadt. Der Schneefall, insgesamt die Ungemütlichkeit der Witterungsverhältnisse waren wohl Ende Januar / Anfang Februar 2016 in Kopenhagen real weniger ausgeprägt als im Roman geschildert. Diese fiktiven Rahmenbedingungen rücken die Handlung in ein düsteres, unwirtliches Licht, ohne aber den Noir-Charakter überzustrapazieren.

Im Kontrast mit dem rein Fiktiven konturieren sich die Realien umso ausgeprägter. Dazu gehört, wie im Erstling auch schon, die Stadt Kopenhagen selbst. Es ist wirklich ein Leichtes, Wege, die mit dem Auto oder zu Fuß zurückgelegt werden, anhand einer Karte nachzuvollziehen. Einmal mehr liest sich der Roman in solchen Textpassagen wie ein unaufdringlicher Touristenführer, der Lust macht auf diese Stadt, wenn vielleicht auch bei besserem Wetter.

Eine zentrale Rolle für den Roman spielt eine Radiosendung, die es, was man Dänen wahrscheinlich nicht sagen muss, ebenfalls tatsächlich gibt. In der deutschen Übersetzung wird sie „Mats & das Monopol“ genannt, was wohl eine ziemlich genaue Übersetzung des Originaltitels der Sendung ist. In dieser, wohl im Regelfall einmal pro Woche ausgestrahlten Sendung, diskutiert ein Moderator mit drei weiteren Menschen aus dem öffentlichen Leben Dänemarks und gibt Ratschläge. Zuhörer haben sich im Vorfeld der Sendung an die Redaktion gewandt, stellen (schriftlich) ihre persönlichen, zumeist dilemmatischen Lebenssituationen dar. Erwartet wird, dass die Prominenten in der Sendung an die Ratsuchenden eine Handlungsempfehlung aussprechen. Ein solcher Rat spielt für die Ermittlung und Lösung des Verbrechens eine zentrale Rolle; mehr sei dazu nicht verraten.

Hauptfiguren sind wieder die beiden Kommissare Jeppe Kørner und Anette Werner. Deren beim Erstgenannten schief gelaufenen, bei der Kollegin erstaunlich harmonisch verlaufenden Lebensverhältnisse werden erzählerisch weiterentwickelt. Während der Eine nach wie vor damit ringt, nach dem Scheitern seiner Ehe wieder eine Linie in sein Privatleben zu bringen, plagen die Andere merkwürdige gesundheitliche Probleme. Eng flankiert werden die beiden Protagonisten von weiteren Figuren, die fast alle schon aus Krokodilwächter bekannt sind, und den Ermittlungen erneut einen ausgeprägten Teamcharakter verleihen.

Worum aber endlich nun geht es denn?

Kopenhagen steht in den erwähnten Tagen nicht nur im Zeichen des erwarteten astronomischen Ereignisses, sondern erlebt auch Modetage der (zumindest skandinavischen) Haute Couture. Der egozentrische Modedesigner Alpha Bartholdy kommt bei einem grausamen Anschlag auf ihn ums Leben. Dem folgt bald ein zweites tödliches Attentat, ein drittes wird schließlich anders laufen als beabsichtigt. Die Ermittler verfolgen eine Reihe von Fährten, die über geraume Zeit alle ins Leere laufen. Jeppe Kørner ist zudem mit einem Verdächtigen befreundet, so dass Interessenskonflikte entstehen. Eine Wende zeichnet erst ab, als Impulse von außen, die lange Zeit unterschätzt wurden, weitere Zusammenhänge erkennen lassen. Darüber entwickelt sich ein wirklich spannender Kriminalfall, der Einblicke gewährt in menschliche Schicksale, aber auch in die sozialen und ökonomischen Hintergründe des Modebusiness, das sich als ebenso egomanisch wie rücksichtslos erweist.

Eine Auflösung findet der Fall. Das darf man erwähnen, gerade weil er doch anders endet als vielleicht erwartet. Das letzte Wort des Romans lautet „Ja“, ein doch ungewöhnlich optimistisch klingendes Ende eines Kriminalromans. In diesem „Ja“ steckt neben der anerkennenswerten Virtuosität des Erzähltalents von Katrine Engberg auch der Keim, sich jetzt schon auf den nächsten Roman aus der dieser Reihe der Kopenhagen-Krimis freuen zu dürfen.


Katrine Engberg: Blutmond. Ein Kopenhagen-Thriller. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. – Zürich: Diogenes Verlag 2019.

Ein weitere, sehr lesenswerte Besprechung findet sich bei Zeichen & Zeiten. In ihrem Beitrag weist Constanze Matthes darauf hin, dass in Dänemark mittlerweile der 3. Band der Reihe erschienen ist.