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Juli Zeh: Leere Herzen

»Zyniker sind nicht dumm, und sie sehen durchaus hin und wieder das Nichts, zu dem alles führt. Ihr seelischer Apparat ist inzwischen elastisch genug, um den Dauerzweifel am eigenen Treiben als Überlebensfaktor in sich einzubauen. Sie wissen, was sie tun, aber sie tun es, weil Sachzwänge und Selbsterhaltungstriebe auf kurze Sicht dieselbe Sprache sprechen und ihnen sagen, es müsse sein. Andere würden es ohnehin tun, vielleicht schlechtere. So hat der neue integrierte Zynismus von sich selbst oft sogar das verständliche Gefühl, Opfer zu sein und Opfer zu bringen. Unter der tüchtig mitspielenden harten Fassade trägt er eine Menge leicht zu verletzendes Unglück und Tränenbedürfnis. Darin ist etwas von der Trauer um eine „verlorene Unschuld“ – von der Trauer um das bessere Wissen, gegen das alles Handeln und Arbeiten gerichtet ist.«

Diese Sätze sind nicht Juli Zehs neuem Roman entnommen, sie sind nahezu 35 Jahre alt. In seiner 1983 erschienenen Kritik der zynischen Vernunft beschrieb Peter Sloterdijk die Phänomenologie eines Zynikers als „Dämmerung des falschen Bewusstseins“, genau genommen als Aufdämmern eines Zeitgeistphänomens. Wie prophetisch es war, zeigt sich an dem Umstand, dass wir es gar nicht mehr als prophetisch wahrnehmen, sondern als uns geläufige Haltung eines schulterzuckenden „Na, und“, quer durch die Generationen.

Einen solchen Zynismus buchstabiert Juli Zeh in Leere Herzen durch. Zeitweise gewinnt man den Eindruck, als könne die zitierte Sloterdijk-Passage als Blaupause für die Figurengestaltung dienen. Als gesellschaftskritische Zeitdiagnose taugt dieser Ansatz allemal, eingegossen in das Genre des Thrillers, vielleicht darf man sogar generalisieren: als Erzähltext bleibt er fad. Wenn die Analyse des Zynikers also nicht tragen sollte, so liegen die Ursachen dafür nicht in der Kritik der zynischen Vernunft.

Juli Zeh verschiebt zunächst die Handlung um wenige Jahre in die Zukunft und skizziert ein politisches und gesellschaftliches Szenario, das jedem wachen Zeitgenossen heutzutage leider durchaus als möglich erscheinen muss. Da stellt eine rechtskonservative Partei, die BBB, Besorgte-Bürger-Bewegung, die Kanzlerin. Ihre Regierung hat sich daran begeben, mit Hilfe sogenannter „Effizienzpakete“ Grundrechte abzubauen und demokratisch legitimierte Instanzen zu beschneiden. Was allerdings niemanden so recht zu stören scheint, denn privat und wirtschaftlich scheint es den Menschen, zumindest jenen bürgerlichen Mittelschichten, die dem Leser vorgeführt werden, gut zu gehen. Nicht zuletzt auch wegen einer sich offensichtlich entspannenden Weltlage. Denn Putin und Trump ist es zwischenzeitlich gelungen, den Syrienkrieg zu beenden und den Nahen Osten ein Stück weit zu befrieden. Der IS ist zerschlagen, er fristet nur noch als „Daesh“ ein kümmerliches Partisanendasein.

In einer solcher Art befriedeten Welt betreibt die Hauptfigur Britta Söldner gemeinsam mit ihrem in Freundschaft verbundenen Geschäftspartner Barak Hamwi ein glaubhaft unglaubliches Geschäftsmodell. Sie vermittelt Suizidwillige als Selbstmordattentäter an interessierte Organisationen, die diese Menschen dann für gezielte Anschlagaktionen einsetzen. Auf eine solche Aufgabe werden sie in einem gestuften Traineeprogramm vorbereitet, das selbst Foltermethoden mit einschließt. Jene, die dieses Programm nicht erfolgreich durchlaufen, gelten fortan als von ihren Suizidvorstellungen geheilt. Diese „Heilungsquote“ wiederum verschleiert nach außen mehr recht als schlecht das eigentliche Geschäftsgebaren. Darum wird ohnehin kein besonders großes Geheimnis gemacht. Britta sagt selbst einmal. dass jeder, der wissen wolle, worauf ihre psychologische Praxis hin ausgerichtet sei, das auch wissen könne. Dafür sind die digitalen Informationsströme mittlerweile viel zu ausgereift. Aber auch das scheint niemanden zu stören. Nicht nur Britta hat ein leeres, jedweder moralischen Verantwortung gegenüber, die weiter riecht als bis zur eigenen Haustür, verschlossenes Herz, Leere Herzen weist auf ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Das Geschäftsmodell funktioniert, ist in hohem Maße ertragreich, und zwar in so hohem Maße, das plötzlich ein Konkurrent auftaucht. Auslöser für die Handlung ist ein missglücktes Attentat auf den Frachtbereich des Leipziger Flughafens, für das Brittas Praxis keinen Selbstmörder ‚geliefert‘ hatte. Wer also spielt plötzlich mit auf diesem perfiden Markt?  Vor dem Hintergrund dieser ungeklärten Frage entwickelt sich die Kriminalerzählung  – und sediert zugleich, was als dystopischer Grundgedanke nicht einmal völlig abwegig ist. Die Figuren bleiben durchgängig stereotyp, die Oberflächlichkeit ihrer Haltungen wird oberflächlich dargestellt. Deren Mangel an Tiefgang kann nicht mit dem Hinweis weggewischt werden, das sei ja gerade das Wesen der Figuren. Es geht nicht um deren zynisches Bewusstsein, sondern um dessen Darstellung. Und die vermeintlichen Thrillerelemente sind nun wirklich der Mottenkiste der Kriminalliteratur entnommen. Was da an Verfolgungsfahrten, an inszenierten Drohkulissen oder Gefahrenmomenten aufgeboten wird, hat mit Spannung wenig, mit erzählerischer Langeweile leider sehr viel zu tun. Auf der erzählerischen Ebene verspielt Juli Zeh geradezu ihr Anliegen, und das ist letztlich schade.

Juli Zeh gelang mit Unterleuten vor nicht einmal zwei Jahren ein erzählerisch wie auch analytisch so überzeugendes Gesellschaftstableau. Warum scheitert sie hier, und zwar nicht als Gesellschaftsanalytikerin, sondern als Schriftstellerin? Mag sein, man kann mit Erklärungsmustern hantieren. Zu schnell zu viel gewollt etc. Doch wäre eine solche Spekulation nicht selbst wieder zynisch, zumindest ein bisschen?


Juli Zeh: Leere Herzen. Roman. – München: Luchterhand Literaturverlag 2017 (20.- €)

Nachgelesenes

Leere Herzen überzeugt auch andere Literaturbloggerinnen und -blogger nicht. Marina Büttner beklagt auf ihrem Blog literaturleuchtet die Biederkeit der Erzählweise, Masuko13 hat sogar noch kurz vor Schluss eine sie langweilende Lektüre abgebrochen. Marius Müller von Buch-Haltung ärgert sich regelrecht in seinem Beitrag über die „hanebüchene“ Erzählkonstruktion, Jacqueline zeigte sich auf ihrem Blog Lesevergnügen einfach nur enttäuscht. Nur (so weit ich es mitbekommen habe: nur) Tobias Nazemi schildert auf buchrevier wohlwollend und anerkennend, dass der Roman ihn nicht kalt gelassen habe. Mit dieser Leseerfahrung scheint er ziemlich alleine zu stehen, aber es gibt sie – immerhin.