Juli Zeh: Unterleuten

Zeh, Unterleuten

Im Regelfall bin ich nicht verlegen, eine eindeutige Gefallensäußerung oder ein Urteil über einen literarischen Text zu formulieren. Bei Juli Zehs Unterleuten tue ich mich aber, das muss ich gestehen, schwer. Ob dieses Zögern auch etwas mit dem Umstand zu tun hat, dass ich vier Wochen benötigte, um den Roman zu Ende zu lesen? Es hatte sich leider aus vielerlei Gründen nicht anders einrichten lassen. Vor allem der Brotberuf forderte gerade jetzt viel Zeit und Aufmerksamkeit.

Dabei war es nie schwer, wenn man wieder einmal nur wenige Seiten, vielleicht ein Kapitel gelesen hatte, den Anschluss zu wahren. Wenn man am Ende des ersten Teils mit der Bezeichnung „Geliebte Babys“ das Figurentableau erfasst hat, so gelingt es ohne Mühe, immer wieder den Erzählfaden aufnehmen zu können. Die Figuren werden einem dabei schnell auf beklemmende Weise vertraut, die Gombrowskis, Krons, Stallers, Fließ, Franzen oder Meiler. Vertraut werden sie, weil sie bekannt erscheinen. Und sie erscheinen so bekannt, weil sie letztlich doch so klischeehaft sind. Ihnen werden zwar alle ohne Ausnahme ganz individuelle Biographien zugestanden, die aber alleine belegen, warum sie zum Figurenklischee gerinnen konnten.

Aber vielleicht geht es auch gar nicht anders, wenn man in diesem Dorf in der märkischen „Sandbüchse“, wie Fontane diesen Landstrich einst nannte, einen Gesellschaftsroman sich ereignen lassen will. In der Vielfalt der Typen  entsteht in der Tat ein Gesellschaftspanorama, in dem es beinahe nur nebenher um die Errichtung eines Windparks geht, der die unterschiedlichen Interessen und Strömungen wie Elementarkräfte aufeinander prallen lässt.

Was dann da abläuft, geschieht allerdings wieder recht mechanisch. Es ist höchst reizvoll, als Leser mitzuerleben, wie Juli Zeh in dem schon erwähnten ersten Teil ihr Figurenarsenal entfaltet. Aber was dann geschieht, ist, wenn nicht vorhersehbar, so doch kalkulierbar: Sozialverhalten (das zumeist keines ist) als Mechanik. Der Mensch als Maschine, der sein an puren Eigeninteressen orientiertes Programm abspult. La Mettrie, der alte Frühaufklärer, lässt grüßen! Dann muss die Erzählinstanz, die sich am Ende als Erzählerin zu erkennen gibt, nur noch ein Bröckchen wie das Verschwinden eines Kindes in die Figurenarena werfen, und schon schnurrt die Handlung ab.

Das ist – auch das soll hier nicht vergessen werden – gut zu lesen, durchgängig unterhaltsam, ja über weite Strecken regelrecht spannend. Trotz der erwähnten Lesezeit habe ich nie den Gedanken gehegt, das Buch vorzeitig wegzulegen. Es war eine vergnügliche Lektüre, die Fragen hinterlässt, wenn man als Leser aus diesem Erzählkosmos auch wieder heraustritt. Wirft der Roman letztlich nicht doch einen ziemlich überheblichen Blick auf die Dorfdeppen im Brandenburgischen, die die neoliberalen Zurichtungen des Lebens nach dem Mauerfall und die durchschaubaren Bestrebungen nach individueller Gewinnmaximierung, die man auch ruhig Bereicherung auf Kosten Anderer nennen dürfte, aus dem Ruder laufen lässt? Ich habe mich dieses Eindrucks beim Lesen nicht immer erwehren können, und ich kann ihn auch im Rückblick nicht ablegen.

Und was bringt das Ausgreifen des Romans über seine eigene fiktionale Welt hinaus auf die tatsächliche Wirklichkeit (was immer das sein mag)? Da gibt es im Roman diesen Manfred Gortz, der ein furchtbares Buch zu Strategien des persönlichen Erfolgs und der Selbstoptimierung geschrieben hat, dessen Autorin aber Juli Zeh ist? Welchen Mehrwert gewinnt der Roman, wenn die Dorfkneipe eine eigene Homepage mit abrufbarer Speisekarte hat oder wenn sich einige Figuren bei Facebook und Twitter tummeln? Die Geschichten scheinen sich außerhalb des Romans fortzusetzen. Freilich, es ist ein amüsantes Spiel mit Fragen zur Autorschaft, über Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Aber einen Lese- oder mehr noch Erkenntnisgewinn erkenne ich darin nicht. Der Bestseller-Erfolg, der sich eingestellt hat, hat doch mehr mit dem Roman selbst als mit seiner medialen Inszenierung zu tun, so geschickt sie auch sein mag. Und das ist letztlich auch gut so.


Juli Zeh: Unterleuten. Roman. – München: Luchterhand Literaturverlag 2016 (24,99€)

Nachgelesenes

Der Roman hat – natürlich – auch seine eigene Homepage: www.unterleuten.de.

Weitere Besprechungen finden sich bei Thomas Brasch, Tobias Nazemis buchrevier, Claudia Pütz‘ Das graue Sofa, Marina Büttners literaturleuchtet, die Buchbloggerin, Intellectures, Sezession und  sicherlich einer ganzen Reihe weitere Blogs, die ich schlicht übersehen habe.

1 Kommentar zu „Juli Zeh: Unterleuten“

  1. Pingback: Juli Zeh: Leere Herzen - Peter liest ...

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert