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Alex Beer: Der zweite Reiter

Der historische Kriminalroman hat Konjunktur. Neu ist dieses Genre weiß Gott nicht, aber es hat spätestens mit der Gereon-Rath-Reihe von Volker Kutscher, die vor rund 10 Jahren startete, nicht nur wachsende Popularität gewonnen, sondern auch ein literarisch durchaus anspruchsvolles Niveau erreicht. Der Grund für den Erfolg liegt auf der Hand. Kutscher war es in der Anlage seiner Romane gelungen, Zeitläufte in die Kriminalfälle einzuweben, historische Entwicklungen und Ereignisse nicht nur als Kulisse in Erscheinung treten zu lassen, sondern das Verbrechen als Ausdruck der Zeit herauszuarbeiten. Das macht die Romane atmosphärisch dicht und authentisch. Die Kriminalfälle historisch an den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Sicherung der NS-Herrschaft anzubinden, war und ist dabei mehr als nur ein geschickter marktorientierter Coup, sondern vor allem ein sensibler Seismograph für gesellschaftliche Verhältnisse in Krisenzeiten, deren Aktualität kaum zu leugnen ist.

Um es gleich vorweg zu sagen: Der erste Band, in dem der Wiener Rayoninspektor August Emmerich ermittelt, Der zweite Reiter,  steht der Gereon-Rath-Reihe in nichts nach. In vielerlei Hinsicht sind die beiden Krimireihen – der dritte Emmerich-Band ist derzeit in Arbeit – miteinander vergleichbar. Die Metropole als Ort der Handlung, dort Berlin, hier Wien, die Beschädigungen der  ermittelnden Hauptfigur, dort das Opfer Kölner Intrigen, hier  der kriegsversehrte Ermittler, insgesamt das ausgesprochen geschickte Spiel mit den Versatzstücken des Genres und die beeindruckende historische Recherche und das plastische Auflebenlassen der vergangenen Hauptstädte, all das rückt die beiden Reihen auf eine Niveaustufe.

Umso markanter und interessanter sind die Unterschiede, die den Roman der Bregenzer Autorin Alex Beer eben nicht zu einer bloßen Adaption der Rath-Reihe macht, sondern einen eigenen Ansatz verfolgt. Das hat insbesondere etwas mit der Zeit zu tun, in die Beer die Handlung verortet. Der zweite Reiter spielt im Wien des Jahres 1919. Der Krieg ist verloren, das alte politische System zerschlagen, die Legitimität von Ordnungsmächten in Frage gestellt, die Volkswirtschaft liegt am Boden, Armut und Mangel, wohin man schaut. Das ist nahezu zwangsläufig ein Nährboden für organisierte Kriminalität und eine Bühne für Kriegsgewinnler, die in einem auffallend fatalistisch anmutenden Wohlstand leben, als habe es den Zusammenbruch des Kaiserreiches ebenso wenig gegeben wie es ein Morgen geben wird. Schwierig in dieser Gemengelage natürlich auch, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das ist von der politischen Lage her schon etwas grundlegend anderes als die Weimarer Republik, die dabei ist, sich selbst abzuschaffen, und die Anfänge der Nazi-Herrschaft.

Eingebettet in die Wiener Situation geschehen eine Reihe merkwürdiger Selbstmorde. Sie machen die Hauptfigur des Romans August Emmerich stutzig. Geraume Zeit ist er der einzige, der die Suizide für inszeniert hält und  Ermittlungen beginnt, und zwar ohne dass er dazu autorisiert wäre. Dabei wildert er in einem Ressort, nämlich dem der Mordkommission, in das er, ambitioniert wie er ist, gerne versetzt werden möchte.

August Emmerich ist aufgrund traumatisierender Kriegserfahrungen und körperlicher Versehrtheit als Folge einer Kriegsverletzung eine gebrochene Figur.  Seine massiven und dauerhaften Schmerzen betäubt er immer häufiger durch Heroin und droht im Laufe der Romanhandlung, in die Abhängigkeit von der Droge abzudriften. Seine Sicht auf die Welt ist von einem hohen moralischen Anspruch und sensiblem Gerechtigkeitsempfinden geprägt. Zugleich sieht er die Verhältnisse ziemlich ernüchtert: „‚Mit oder ohne Kaiser'“, so sagt er einmal, „die Welt bleibt ungerecht.'“ Seine familiären Verhältnisse geraten aufgrund der Kriegs- und Nachkriegsumstände in Schieflage. Man sieht: Wir haben es einer durchaus genretypischen ambivalenten Figurengestaltung zu tun und zugleich mit einem Mann mit ausgeprägtem individuellen Profil.

Ohnehin bedient sich Der zweite Reiter durchaus der krimitypischen Genreversatzstücke. Einem Vertreter von Genre-Literatur allerdings vorzuhalten, er bediene sich typischer Genreelemente, wäre schon ein merkwürdiger Vorwurf. Die Frage ist doch eher, wie solche Elemente zusammenmontiert, gesampelt werden. Das gelingt Beer aber in einer Weise, die den Roman zu einem überzeugenden Vertreter seiner Zunft werden lässt. So bekommt, um ein weiteres Beisiel anzuführen, auch Emmerich einen Assistenten an die Seite gestellt. Dieser Ferdinand Winter aber ist so gestaltet, dass er aufgrund seiner Herkunft und seines Charakters eine weitere Facette auf die sozialen und politischen Verhältnisse der Zeit zu werfen versteht. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich zugleich eine interessante Arbeitsbeziehung.

Und nicht zuletzt ist dieser Kriminalroman, das was er genuin sein soll: ausgesprochen spannend. Alex Beer lässt zügig die Spannungskurve steigen und hält sie bis zum Ende. Die beiden Ermittler gehen eine Vielzahl von Wegen, müssen sich mit durchaus zwielichtigen Personen einlassen und gewinnen ganz am Ende erst gemeinsam mit dem Leser Einsicht in die Zusammenhänge und Hintergründe des Verbrechens.

Mehr soll nicht verraten werden. Lust aber auf den Folgeband Die rote Frau und die weiteren Romane macht dieses Reihendebut allemal.


Alex Beer: Der zweite Reiter. Ein Fall für August Emmerich. Kriminalroman. – München: Blanvalet  Verlag 2017 (9,99 €)