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Beka Adamaschwili: Bestseller

Zugegeben, ein Ballistiker bin ich nicht. Aber wenn ich mir vorstelle, ein menschlicher Körper falle von der höchsten Aussichtsplattform des derzeit höchsten Gebäudes der Welt, also vom 148. Stockwerk des Burj Khalifa, in die Tiefe – vorausgesetzt überhaupt, dass das geht -, so kann ich mir keine Flugkurve vorstellen, die dazu führt, dass dieser Körper an einer Kreuzung unten am Gebäude auf’s Straßenpflaster schlägt. Viel wahrscheinlicher ist, dass er an der Gebäudewand an- und auf einer der zahlreichen niedrigen Plattformen aufschlägt. Aber wenn Beka Adamaschwili in seinem Debütroman Bestseller irgendetwas nicht interessiert, dann ist das Glaubwürdigkeit. Das geschieht aber auf solch vergnügliche Weise, dass es dazu drängt, diesen kleinen, rund 170 Seiten langen Roman in einem Rutsch durchzulesen.

Vielleicht aber, das mag ich nicht ausschließen, ist die Lektüre auch weniger vergnüglich, wenn genau das nicht gelingt, wenn die Anspielungen und Verweise oder die argumentativen Winkelzüge beim Lösen der auftauchenden Rätsel dann einfach nicht mehr präsent sind. Aber fangen wir, wie der Roman überraschender Weise auch, vorne an. Fangen wir ganz vorne an, bei der Widmung:

Gewidmet allen Bäumen, um den Schaden ein wenig zu kompensieren, der durch die Notwendigkeit einer Seite mit Widmung entstanden ist.

Damit ist der Ton, in dem der Roman erzählt ist, angeschlagen, und wird, so viel wird vorweggenommen, bis zum Ende durchgehalten. Ein weiteres Beispiel:

… Pierre fiel dermaßen lange, dass er auf dem Weg erst an Galileis Fallgesetze glaubte, dann an Gott und am Ende – als er sich mit ausgebreiteten Armen der Straßenkreuzung näherte – von Newtons Gravitationsgesetz gründlich überzeugt war …

Ergänzt sei der Genauigkeit halber: die Auslassungszeichen stehen im Text! Pierre, das ist die Hauptfigur Pierre Sonnage, ein französischer Schriftsteller, erfolglos, der einige Erzählungen und insgesamt vier dicke Romane geschrieben hat, bei dessen letzter Buchpräsentation aber nur 12 Zuhörer erschienen waren. An seinem 33. Geburtstag beschließt er, sich spektakulär das Leben zu nehmen, fliegt nach Dubai, besucht die Burj Khalifa … und der Rest ist mittlerweile bekannt.

Das alles ist am Ende des ersten Kapitels erzählt. Pierres Sprung aus dieser Höhe hat, wie soll man sagen, einen durchschlagenden Erfolgl Denn der Asphalt hält ihn keineswegs auf, sondern er landet direkt in der Literatenhölle. Dort wird er von keinem geringeren (und von wem auch sonst) als Dante selbst empfangen. Der führt ihn durch eine als Kleinstadt organisierte Hölle zu einem Hotel, in dem Pierre zunächst einmal untergebracht wird. Schnell erfährt er wie auch der Leser, dass sich in der Hölle das Who is Who der gesamten Literatur befindet. Pierre trifft auf Homer, auf Ray Bradbury, auf Kafka, Hemingway, Shakespeare, auf Edgar Allan Poe und zahlreiche andere, die beim schnellen Nachdenken gar nicht alle einfallen. Jetzt beim Schreiben fällt mir allerdings auf: eine Frau ist wohl nicht darunter, sollte ich nichts übersehen oder schon wieder vergessen haben. Mag sein, dass das auch was heißt.

Unser junger Schriftsteller wird dazu genötigt, Rätsel zu lösen, warum, das wird erst ganz am Ende angedeutet,. Rätsel aber, die ein Feuerwerk (das passt ja in der Hölle) literarischer Bezüge erzeugen. Anspielungen, Verweise oder auch nur Hypothesen zielen immer wieder auf andere Texte, aus denen sich Schritt für Schritt ein Mosaik ergibt, das am Ende ein, wenn auch vollkommen absurdes Bild ergibt. Das ist aber auch völlig egal. Denn es ist weniger die so vorangetriebene Handlung, als vielmehr die Art des Erzählens, die das Vergnügen an diesem Roman aufrecht hält. Da wird über eine Erzählstimme, die sich selbst „Autor“ nennt, die Handlung immer wieder kommentiert, mit Fußnoten versehen oder schlicht unter-, ab und an sogar abgebrochen. Das geschieht stets mit einer gehörigen Portion Selbstironie.

[Hier wird der Autor plötzlich nachdenklich, was den Sinn dieses Buches betrifft. Er denkt, denkt, denkt und danach denkt er, er sollte nicht so viel Zeit mit dem Denken verlieren, und schreibt weiter.]

Außerdem wird eine zweite Erzählebene eingeschoben, in der Lucy eine Rolle spielt.Zunächst erscheint sie als eine, wohl die einzige Anhängerin des Autors, die Pierre auf einer Lesung kennengelernt hatte. Sie scheint ihn, durchaus stalkerhaft, beschattet zu haben, zugleich aber auch eine Romanfigur, Claude, so dass nicht klar ist, ob Lucy selbst nicht eine fiktive Figur ist, also ein Fiktion in der Fiktion. Diese Konstellation treibt den Leser immer weiter in die Verwirrung, so dass er irgendwann gar nicht mehr weiß, auf welcher Ebene er sich gerade bewegt. Das Ganze wird aber, man kann es beinahe nicht oft genug wiederholen, mit ungeheurem Witz, ja mit Esprit erzählt, und wie ebenfalls schon erwähnt, auch über den gesamten Roman durchgehalten.

Der Bekräftigung, auf hohem Niveau unterhalten worden zu sein, ist aber wohl um eine Einschränkung zu ergänzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass einem Leser dieses literarische Vexierspiel einfach zu viel ist, dass das konsequent Selbstreferenzielle so wahrgenommen wird, als weise es auf nichts außer auf sich selbst, so dass jemand aufgrund dessen den Eindruck gewinnt, das sei nicht seine Literatur. Das wäre nicht zu diskutieren, das wäre zu akzeptieren. Gleichwohl muss man dem Verlag dankbar sein, den georgischen Schriftsteller Beka Adamaschwili, dem mit seinem Debüt in seinem Land – nomen est omen! –  einen Bestseller gelang, auch bei uns bekannt zu machen.


Beka Adamaschwili: Bestseller. Roman. Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze. – Dresden, Leipzig: Verlag Voland & Quist 2017 (18.- €)