Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt

Die Beschäftigung mit Verschwundenen – das ist, um es etwas flappsig auszudrücken, Friedrich Anis Ding. Er versteht es, daraus ebenso anspruchsvolle wie spannende Kriminalhandlungen zu entwickeln und zugleich zerrüttete Lebenszusammenhänge und gesellschaftliche Fehlentwicklungen ins Tageslicht zu rücken. So, dass man hinschauen kann, ja hinschauen muss.

Ein solch Verschwundener ist auch Ludwig Dragomir. Das Besondere und beklemmend Eindringliche an dieser Figur ist aber der Umstand, dass niemand ihn sucht, sondern dass er einfach da ist. Präsent ist in all seiner erschreckenden und schrecklichen Wucht. Ein Ich-Erzähler, vor dem man am liebsten davonlaufen möchte, der es aber nicht erlaubt, das Buch wegzulegen, bevor seine Geschichte nicht erzählt ist, und sie möglichst schnell zu vergessen. Nein, er nimmt einen unbarmherzig mit in seine furchtbare Gedankenwelt, gnadenlos sein Denken wie sein Handeln, seine grausamen Taten. So wird man als Leser zum Kronzeugen für die Legitimationsversuche des Grauenerregenden, das von Dragomir ausgeht. Wer dabei über die Schrecknisse, die er lesend erfährt, nicht ins Entsetzen gerät, muss sich wohl eine Empathieschwäche attestieren lassen. Aber wer sie nicht verstehen will in all ihr ebenso furchtbaren, vielleicht noch grausameren Ursächlichkeit, wer die Gründe und Wurzeln nicht sieht oder begreifen will, der verdient das gleiche Testat.

In Heiligsheim spielt die Handlung, sprechender Name eines fiktiven bayrischen Dorfes. Doch es geht und es ging weder heimisch nicht heilig zu in dieser Örtchen. Dorthin ist Luggi, wie er recht schnell von den Einheimischen genannt wird, zurückgekehrt ohne erkannt zu werden, um Rache zu nehmen für das, was man ihm als Kind und ebenso den gleichaltrigen Jungen des Dorfes angetan hat. Ihm, der eigentlich Coelestin heißt, also ein „Himmlischer“ ist. Und so ereignet sich eine Apokalypse, in der er wie der Erzengel MIchael agiert, der die Verdammten in die Hölle stürzt. Nur: die biblische Gegenbewegung dazu, die Aufnahme der Gerechten in den Himmel, die gibt es nicht. Denn es gibt keine Gerechten.

Kinderschänder waren in Ludwigs/Coelestins Kindheit am Werk gewesen, Honoratioren des Ortes offenbar. Sie hatten Im Wald den Jungen Furchtbares angetan, Schreckliches, das nicht im Detail erzählt werden muss, um sein ganzes Grauen zu entfalten. Kinder verschwanden, Kinder starben, wurden – wie der kleine Hans – umgebracht. Und das Dorf schwieg. Der Ich-Erzähler floh, als er vierzehn war, nach Berlin, führte ein von Selbstvorwürfen, Verzweifelung, Einsamkeit und Drogen geprägtes Leben. Vierzig Jahre später kommt er, äußerlich verändert, zurück und beginnt seine Rachemission – bis zum infernalischen Ende.

Mir drängte sich die Frage auf, ob es einen Zusammenhang gebe zwischen Anis erstem, bei Suhrkamp erschienenen Roman Der namenlose Tag und Nackter Mann, der brennt. Will man nicht auf Vergleichskriterien zurückgreifen, die nicht aus den inneren Zusammenhängen der Romane entwickelt werden, sondern Setzungen von außen sind, dann muss man die Frage wohl verneinen. Ansonsten aber … Während dem pensionierten Kommissar Jakob Franck ein besonderes Maß an Einfühlungsfähigkeit gegeben ist, so ist gerade die bei Ludwig Dragomir/Coelestin nun überhaupt nicht vorhanden. Er selbst weiß, warum.

Der Leser aber auch, der am Ende das Buch weglegt und doch gebunden bleibt an das, was er gelesen hat, wie an einen Albtraum, der sich nicht verflüchtigen will.


Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt. Roman. – Berlin: Suhrkamp 2016 (20,00 €)

1 Kommentar zu „Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt“

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