John Williams: Nichts als die Nacht

John Williams, Nichts als die Nacht
Wie beginnen?

„Irgendwann denkt man fast zwangsläufig an ihn, an den Typus des Flaneurs.“ So sollte in einer ersten Fassung mein Beitrag zu Nichts als die Nacht anfangen. Aber der Satz ist vermessener Quatsch. „Man“ muss überhaupt nicht an den Flaneur denken, wenn man John WIlliams‘ Novelle liest. Derjenige, der daran dachte beim Lesen, war ich, kein „man“. Zudem ist der Gedanke beim genaueren Hinschauen ohnehin nicht haltbar. Arthur Maxley, die Hauptfigur, ist eben kein Flaneur, auch wenn sein offensichtlicher sozialökonomischer Hintergrund die eine oder andere Parallele erkennen lässt. Er ist materiell unabhängig, muss keinem Beruf nachgehen, studiert wohl auch nicht; er bewegt sich durch eine Großstadt, durch San Francisco. Aber nicht langsam und auch nicht, um der Dinge willen hinter die Dinge zu blicken, sie befragend. Er ist kein Dandy, er ist kein Suchender, er ist ein Getriebener, so als sei er auf der Flucht. Außerdem ist mir in der Literatur kein Flaneur bekannt, der sie am Ende dermaßen kräftig auf die Fresse bekommt. Anders als so drastisch kann man das, was da geschieht, kaum angemessen bezeichnen.

Nächster Versuch:

„Keiner der vier Roman von John Williams erschien erst posthum, alle zu Lebzeiten. Aber jeder …“ Wohin soll ein Gedanke führen, der nicht einmal einen Satz zu Ende bringen kann. Im Hinterkopf spukte die Vorstellung, etwas über die Publikationsgeschichte der Romane von John WIlliams erzählen zu wollen. Die ist in der Tat merkwürdig, erst recht im deutschsprachigen Raum: zuerst der dritte Roman (Stoner; deutsch 2013 / USA 1965), dann der zweite (Butchers Crossing; dt. 2015 / USA 1960), dann der letzte Roman (Augustus; dt. 2016 / USA 1972) und schließlich der Erstling (dt. 2017 / USA 1948). Aber was bringt eine solche Aufzählung, die nicht einmal versucht, den Erstling einzuordnen?

Dritter Versuch:

„Nicht der große Roman, sondern die kompakte Novelle steht am Anfang von John Williams‘ Prosaschaffen.“ Die erwähnte Gattungsbezeichnung scheint aber eine Ergänzung des deutschen Verlags zu sein. In der gängigen US-Ausgabe gibt es sie jedenfalls nicht. Dabei ist sie keineswegs unpassend. Es gibt tatsächlich eine unerhörte Begebenheit in der Vergangenheit des Protagonisten, die sein Leben, seine Orientierungslosigkeit und seine existenzielle Dünnbödigkeit ausgelöst hat und die ihn nicht loslässt. Aber soll ich einen Blogbeitrag tatsächlich mit einer Gattungsfrage beginnen lassen, die zudem diesen Text weder besser noch schlechter macht? Also …

… letzter Versuch:

„Ein Trauma verarbeiten, indem man ein anderes schreibend bearbeitet, das kommt in der Literatur so selten nicht vor.“ Ein solcher Anfang zielt gleich auf biographische Zusammenhänge, ein Zugriff, der sicherlich möglich ist, aber eben doch häufig zu kurz greift. Hier das Leben, dort die Literatur, dazwischen ein Aquivalenzzeichen? Worauf hätte ich aufmerksam machen wollen, was nicht ohnehin im Nachwort von Simon Strauß nachzulesen ist? Dass Williams den Roman als zwei- oder dreiundzwanzigjähriger junger Mann schrieb, nachdem er, der Kriegsfreiwillige, bei einem Erkundungsflug über Burma abgeschossen worden war und zu den beiden einzigen Überlebenden gehörte? Aber es gibt sie nicht, diese Analogie zwischen diesem Abschuss oder der vaterlosen eigenen Kindheit des Autors und dem Schrecklichen, das diesen Arthur Maxley zum Getriebenen macht.

Warum finde ich keinen Einstieg in meinen Beitrag?

Sagen wir es doch rundheraus: Die drei zuvor erschienenen Romane begeisterten mich – ausnahmslos. Aber dieser Erstling, diese „Novelle“, sie hat mir nicht gefallen. Wenn ich also ehrlich sein will, so muss ich von einer Enttäuschung berichten.

Der Leser begleitet die Hauptfigur Arthur Maxley knapp 24 Stunden. Die Erzählung beginnt mit einem Traum am frühen Morgen und endet irgendwann in der darauffolgenden Nacht. Dazwischen liegen einige Ortswechsel, ein Frühstückscafé, eine Bar zur Mittagszeit, am Abend ein Restaurant und schließlich ein Nachtclub, sowie die Begegnung mit unterschiedlichen Personen, insbesondere mit seinem Vater und mit Claire Hegsic, einer jungen Frau, die in ihrem dunstig bleibenden und durch reichlich Alkohol eingetrübten Verhältnis zu ihrer Außenwelt als weibliche Parallelfigur gezeichnet wird. In dem Nachtclub finden sich zwei, die sich finden wollten. Eigen ist beiden eine immense Nervosität, eine gesteigerte Empfindlichkeit, die ebenso an das Fin de Siècle erinnert wie an den europäischen Existenzialismus der Nachkriegszeit. Dabei begleitet den jungen Mann, wie schon erwähnt, ein Kindheitstrauma, das er nicht los wird und das seinen egozentrischen Lebensekel begründet.

Erkennbar ist an dem Roman sein Bemühen um ein tiefes Eindringen in die Psyche der Figur, in weiten Ansätzen durchaus auch in die Psyche der Zeitläufte. Sie läuft nicht, sie eiert. Das hat durchaus diagnostisches Potenzial. Aber es ist die Art des Erzählens, die enttäuscht, die letztlich nervt. So kurz der Prosatext insgesamt ist, so lässt er doch nichts aus, was nicht benannt wird. Punktuell sind dabei durchaus einsichtige Sprachbilder zustande gekommen, aber es sind derer einfach zu viele. Ein Adjektiv und noch ein Adjektiv und noch ein Attributsatz und noch ein Vergleich, um ja auch das letzte Detail und die kleinste Gefühlsregung zu benennen. Ein solcher Beschreibungs- und Benennungszwang hat verhindert, dass ich mich der Figur nähern konnte. Es war und es blieb ein mich letztlich ziemlich langweilendes Panoptikum von Befindlichkeiten, die nicht wirklich berührten. Am meisten noch leuchtet mir ein, dass John Williams in späteren Jahren von seinem Erstlingswerk selbst nichts mehr viel wissen wollte.


John Williams: Nichts als die Nacht. Novelle. Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Robben. Mit einem Nachwort von Simon Strauß. – München: dtv Verlagsgesellschaft 2017 (18.- €)

Bildnachweis für das Beitragsbild: Pixabay

2 Kommentare zu „John Williams: Nichts als die Nacht“

  1. Wieder ein Beitrag, den ich sehr gern gelesen habe, gerade auch weil er den eigenen Zugang zum Werk beim Schreiben der Besprechung reflektiert mit in den Blick nimmt. Und ich bin erleichtert, dass ich meinem Bauchgefühl beim letzten Buchladenbesuch gefolgt bin und das Buch nicht gekauft habe. Butcher’s Crossing hat mich ebenfalls begeistert, auch wenn ich damals keine Zeit für eine Beprechung hatte oder mir nehmen wollte. Stoner liegt noch hier und wartet. LG und wieder mehr Freude beim nächsten Buch. Anna

  2. Mein absoluter Favorit von Williams ist nach wie vor Stoner – Butches Crossing ist grandios, aber ganz anders. Und Augustus – habe ich nicht gelesen. Stoner ist so zeitlos, so unglaublich … mitnehmend, da hatte ich schon Bedenken, dass ich mit Nichts als die Nacht meine Schwierigkeiten haben würde. Nun, ich habe ja bereits reingelesen … und naja, ich bin mir noch überhaupt nicht sicher, denke aber, wenn ich es zur rechten Zeit in die Hand nehme, ist der Einstieg vielleicht ein anderer, ein besserer. LG und Dank für die authentische Besprechung, Bri

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