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In Momenten sind Fliegen und Stürzen eins.

Jahrestag Null Eins

Am 15. August des letzten Jahres postete ich meinen ersten Beitrag in meinem Blog, eine Rezension zu Ulrich Woelks Krimi „Pfingstopfer“. Seither ist einiges passiert, Erhofftes, Erwartetes, Erwünschtes, Unerwartetes, Unerwünschtes, das es verdient, nicht zu schnell in den sich anhäufenden Erinnerungen zu verblassen.

Eine kurze, aber etwas weitere Vorgeschichte

Vor wenigen Tagen suchte ich aus beruflichen Gründen ein älteres Word-Dokument, von dem ich wusste, dass ich es nicht auf dem aktuellen Arbeitsplatzrechner finden würde. Ich kramte eine alte externe Festplatte heraus, schloss sie an meinen Computer an, suchte vergeblich, fand aber anderes. Auf der Festplatte befanden sich Backups alter rudimentärer Internetprojekte, die damals in den Kinderschuhen stecken geblieben und schließlich im Sande verlaufen waren. So versuchte ich vor mehr als zehn Jahren, es war so um 2005 herum, die Idee umzusetzen, im Internet mögliche Lektüren für den Deutschunterricht vorzustellen, die nicht unbedingt dessen stillem Lektürekanon gehorchten. Es gab zunächst einen Versuch auf der Basis von Netobjects Fusion, kurz danach zum ersten Mal etwas mit WordPress. Das Ganze war auch tatsächlich lauffähig und im Netz abrufbar. Es wurde sogar eine Domain registriert, schullektuere.de hieß sie, die ich mittlerweile längst wieder abgestoßen habe. Über drei Beiträge ist das Angebot nie hinausgekommen. Es waren zwei Jugendbücher, an die ich mich nicht mehr erinnere, und es war ein Beitrag zu Christoph Heins Erzählung In meiner frühen Kindheit ein Garten, die damals, also 2005/2006, gerade erschienen war.

Den Wunsch, Literatur ins Internet zu tragen und Leseerfahrungen öffentlich zu machen, gab es also schon seit geraumer Zeit. Warum erwachte die damalige Idee aber nie richtig zum Leben? Der Sand, in dem sie verlief, war das, was man gerne als Banalität des Alltags bezeichnet, was aber in dem Moment, in dem man sich darin befindet, für den Einzelnen so banal gar nicht ist: Berufliches Eingespanntsein und Engagement, Veränderungen, auch erhebliche, im privaten Lebensumfeld. Kurz: die Verhältnisse waren nicht so, dass die Ideen und Vorstellungen hätten sich auf längere Dauer realisieren lassen. Gelesen wurde natürlich, wie an anderer Stelle erzählt, weiterhin …

Es geht seinen Gang

… und, wen wundert’s, auch die Verhältnisse änderten sich. Das private Umfeld war wieder zum Lebenshalt geworden, der Brotberuf, den ich zuvor sicherlich nie so bezeichnet hätte, erhielt in den letzten ein, zwei Jahren einen anderen, um es offen zu sagen: geringeren persönlichen Stellenwert. Wenn man das Gefühl hat, sich in einer Sackgasse zu befinden, aber nicht stehen bleiben will, dann muss man eben auch einmal zurück gehen, um irgendwo anders hin zu kommen. Der Wunsch, etwas zu machen, hinter dem man uneingeschränkt stehen kann, wo man zugleich ganz nah bei sich selbst ist und im selben Moment die Chance erhält, sich von sich selbst abzurücken, um schärfer hinsehen zu können, erweckte den alten Wunsch, etwas mit Literatur zu machen, zu neuem Leben.

Was ich machen wollte, war relativ schnell klar. Wie es umzusetzen sein sollte, bedurfte einiger Überlegungen. Die waren zunächst weniger technischer Art; dass ich etwas auf der Plattform von WordPress realisieren wollte, hatte sich sehr schnell abgezeichnet. Ich wollte mich nicht zu sehr um die programiertechnischen Hintergründe und das Aussehen meines Blogs kümmern müssen, ich wollte schreiben. Trotzdem gab es auch dazu, als es konkret wurde, genügend Fragen und Schwierigkeiten.

Zunächst aber stand nach der Ideenfindung für den Blog die Frage nach dem Domainnamen im Vordergrund. Es gibt unter den Literaturblogs eine Vielzahl wunderbarer Namen, metaphorische, programmatische, themenklare. Ich habe lange Zeit über Domainnamen nachgedacht, die etwas mit Tieren zu tun haben, die mich faszinieren. Irgendwas mit Raben, Eulen oder Eseln schwebte mir vor. „Eselsohren“ wäre mein Favorit gewesen, war aber als Domainname nicht mehr erhältlich. Warum also nicht ein Name, der einfach sagt, worum es tatsächlich geht? Der Domainname war dann zu meiner eigenen Überraschung sogar noch frei.

Erst später bemerkte ich, dass ich mich in (mindestens) einem Punkt in einen Widerspruch begeben hatte. Ich ließ mich lange Zeit von dem Wunsch und der Annahme leiten, ein solcher Blog könne, von den rechtlich notwendigen Informationen einmal abgesehen, vollkommen ohne die Person auskommen, die ihn betreibt. Mittlerweile habe ich den Eindruck gewonnen, die Vorstellung war naiv. Vor allen Dingen sollte man einen Blog, hinter dem sein Betreiber unsichtbar bleiben soll, nicht Peter liest nennen. Was ich jedoch nicht bereue! Jetzt nach einem Jahr sind aufgrund einiger Beiträge der Blog und sein Betreiber etwas näher aneinander gerückt, so nah, dass Letzterer kenntlicher wird, hoffentlich ohne transparent zu werden.

Im Vorfeld stellte sich mir bei der Umsetzung ein weiteres Problem: die Bilder, genauer: die Frage nach den Bildrechten. Auch da habe ich zuerst bei anderen geschaut, und mich gefragt: Wie machen sie es? Egal wie die Bilder nun inhaltlich konzipiert und ansprechend umgesetzt waren, eines hatten und haben sie gemein. Man sieht ihnen an, dass es keine direkten Produktfotos sind. Aber darf man das? Darf man neben ein Buch, dessen Cover das Zentrum des BIldes darstellt, die berühmte Kaffeetasse stellen, das Ganze fotografieren und dann im Internet  ohne Verstoß gegen Urheberrechte veröffentlichen? Ja, man darf; aber bis ich die Gewissheit gewonnen hatte, die ich haben wollte, um nicht in irgendeine Abmahnfalle zu geraten, habe ich etwas Zeit gebraucht.

Mein Sicherheitsbedürfnis ging so weit, dass es mir nicht reichte, die juristische Berechtigung meiner Bilder dadurch zu gewährleisten, dass ihr laienhafter Charakter erkennbar blieb. Hier kommt nun der Esel ins Spiel. Ich wollte mein Buch nicht neben eine Tasse Kaffee drapieren oder meinen Hund ins Bild bringen, zumal ich mir sicher war und bin, die Fotografiererei würde er, genauer: sie nicht lange mitmachen. Dabei befürchtete ich keineswegs den hochnäsig spöttelnden Blick des Feuilletonjournalismus auf die Bloggerszene, zu der ich ja ohnehin nicht gehörte. Nein, aber das Buch mit dem Heißgetränk gab es schon; und ich wollte keineswegs etwas kopieren, was andere ohnehin besser präsentieren konnten als ich. Dieser Plüsch-Esel aber, der steht auf meinem Schreibtisch. Bei den ersten Fotos griff ich ihn ohne lange nachzudenken und platzierte ihn zu den jeweiligen Büchern. Ja, das konnte gehen, zumal so unmissverständlich gewährleistet war, dass es das eigene Bild war, welches man nunmehr für den jeweiligen Beitrag einsetzte. Der Internetauftritt des Plüschesels hatte also in erster Linie rein pragmatische Gründe, war zufällig. Weil dem aber so ist, kann er, so meine derzeitige Annahme, sich auch wieder verabschieden. Mit dem Theme-Wechsel vor kurzer Zeit ist er aus den aktuellen Beiträgen verschwunden. In den ersten Beiträgen aber bleibt er, als Reminiszenz an das erste Jahr.

Dass Ulrich Woelks Roman Gegenstand des ersten Beitrags werden sollte, war ebenfalls Zufall. Er stand an. Ich hatte das Buch gerade gelesen, und da ich die Absicht von Beginn an ernst nahm, der Blog solle ein „Gedächtnisspeicher eigener Lektüren“, aber kein Lesetagebuch sein, war es nur natürlich, damit auch zu beginnen.

Seither habe ich rund 40 Artikel verfasst. Ob das eine gute oder eine schlechte Quote ist, ist eine Frage, die ich mir kurzzeitig stellte, um mich auch schnell wieder zu bremsen. einer solchen Denkungsart möchte ich nicht beitreten. Ich lese, weil ich gute Literatur liebe; und seit ich darüber schreibe, liebe ich sie, mag sein, noch mehr. Aber ich lese nicht, um darüber zu schreiben. Ich kann mit den Viellesern, die in Jahresrückblicken auf hundert und mehr literarische Lektüren zurückblicken, nicht viel anfangen. Ja, ich gestehe, dass der Begriff des „Bücherfressers“ einen negativen Klang bekommen hat. Aber vielleicht bin ich auch nur borniert: eine übers Jahr hundertfache und zugleich intensive Leseauseinandersetzung mit literarischen Texten kann ich mir nicht vorstellen. In den sozialen Medien gepostete Wochenendlesestapel erzeugen bei mir Unbehagen.

Gepostet wird, was gelesen wurde. EInen Überblick über literarische Neuerscheinungen und sei es nur im Bereich der gehobenen Belletristik, was immer das sein mag, kann und will ich nicht leisten. Den muss man anderswo suchen. Ohnehin hat der Fokus auf die Neuerscheinungen, der sich eher unbeabsichtigt ergeben hatte, dazu geführt, dass die Lektüre oder Wiederlektüre älterer Werke im letzten Jahr zu kurz gekommen ist. Zur Kategorie „Klassiker“ gibt es nach wie vor keine Beiträge. Bedauerlich; und ein Aspekt, auf den ich reagieren möchte. Unerwartet auch und erstaunlich zu beobachten, wie stetig der Kreis, in dem man sich über Literatur schreibend bewegt, doch erweitert. Hier ist nun sicherlich der Punkt gekommen, an dem ich mich aufgefordert sehe, einmal Danke zu sagen.

Danke für die vielen Rückmeldungen und Anregungen, die ich im Laufe dieses ersten Jahres erhalten habe

Danke für die vielen Rückmeldungen und Anregungen, die ich im Laufe dieses ersten Jahres erhalten habe, ohne die der Blog nicht wäre wie er heute ist, ohne die er für mich ganz persönlich nicht einen Stellenwert gewonnen hätte, mit dem ich selbst auf diese Weise nicht gerechnet habe. Es ist wunderbar! Ich zögere, in diesem Zusammenhang Namen zu nennen, weil ich dadurch zugleich andere verschweige. Aber einen erlaube ich mir doch – und das ohne hoffentlich zu verzeihende Rücksprache. Mein besonderer Dank gilt Mara Giese, die mir gerade dann, wenn es um Fragen der Arbeit am Blog ging, wunderbare Tipps gegeben hat, und der keine Frage zu lästig war, um sie nicht geduldig und umfassend zu beantworten.

Wider die Standortbestimmung

Im Laufe des letzten Jahres haben sich Interessen und Fragestellungen verstärkt, die über das Schreiben der Literaturbeiträge hinausgehen, die mich zunehmend beschäftigen und die ich weiter verfolgen möchte.  Den Begriff „Standortbestimmung“  mag ich für diesen Umstand aber nicht heranziehen; seine Entlehnung aus dem Bereich des Personalmanagements geht mir viel zu weit. Aber gleichwohl gibt es einen Fragekomplex, der mich besonders interessiert: Welchen Stellenwert hat der Literaturblog im kulturellen Gewese?  Welche Kriterien an literarischer Qualität sind  zu veranschlagen, will man den Literaturblog etablieren im Feld zwischen geschwätziger Höhenkammorientierung im Feuilleton und der Ansammlung  meist ziemlich öder Leseeerlebnisbefindlichkeiten? Was bedeutet in diesem Zusammenhang vielleicht Professionalisierung? Wie politisch ist der Literaturblog? Ich weiß, es gibt eine nicht geringe Zahl unter den Bloggern, die das wenig bis gar nicht interessiert. Eine solche Haltung ist zu akzeptieren; ich persönlich halte sie für problematisch. Damit möchte ich mich näher beschäftigen.

Aber in erster Linie geht es um die Literatur. Den Blog weiter entwickeln zu wollen, bedeutet dann aber auch, mich mehr vor der Gefahr zu hüten, mich mit meinen Lektüren zu sehr an den Neuerscheinungen und den Preisvergaben im Rahmen der großen Buchmessen zu orientieren. Das ist mir bisher nicht so gelungen wie ich es mir gewünscht hätte. Und das ich das hier wiederhole, zeigt, wie sehr es mich stört. Deshalb habe ich mir selbst für die nächste Zukunft ein Leseprojekt verordnet: alle Romane Fontanes wiederzulesen und abzuklopfen auf ihre Haltbarkeit. Alles andere wird sich erweisen.

Eines aber bleibt gewiss: Ich, ohne die Bücher, bin nicht ich. Und vielleicht irgendwann sogar: Ich, ohne meinen Blog, …