Alles still!
Alles still! es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.
Alles still! vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.
Alles still! Die Dorfes-Hütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.
Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht; –
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.
Theodor Fontane: Gedichte. Hrsg. von Joachim Krueger und Anita Golz. – Berlin: Aufbau Verlag 21995 (Große Brandenburger Ausgabe, Gedichte 1-3), S. 12.
Schon wieder ein Fontane-Gedicht zu Weihnachten?
Ich habe gezögert, das ist richtig. Neben einem möglichen Wiederholungsvorwurf steht zu Recht auch die Frage: Ist es überhaupt ein Weihnachtsgedicht? Mir ist keine Äußerung des Autors bekannt, die das Gedicht in einen solchen Zusammenhang rückt. Ein Wintergedicht ist es offensichtlich, auch wenn es wohl im Frühlingsmonat Mai 1844 in einer Sitzung der literarischen Gesellschaft „Tunnel über Spree“, in der Fontane seit Kurzem Mitglied war, vorgetragen wurde. Zum Weihnachtsgedicht wird es allenfalls durch seine Rezeption, denn es taucht in schöner Regelmäßigkeit immer wieder in Anthologien zu Weihnachten auf. Auch rückblickend muss es dem Autor wohl gefallen haben, denn es wurde in alle fünf Gedichtsammlungen aufgenommen, die Fontane zu Lebzeiten veröffentlichte.
Seinem Tonfall ist etwas Nachromantisches wie ein Hall unterlegt. Es erinnert mich – und deshalb erlaube ich mir den Vergleich – an Eichendorffs Weihnachten, und das bis in formale Parallelen hinein. Aber es funktioniert genau andersherum. Eichendorffs Gedicht endet mit einer Naturerfahrung, aus der bei aller Einsamkeit des lyrischen Ichs Erlösung aufschimmert. Alles still! beginnt damit, findet darin aber nur „Schweigen“. Über vier Strophen geht das Gedicht quasi den Weg zurück, den das lyrische Ich bei Eichendorff gegangen ist, und endet – bei sich selbst. Die dritte Strophe reißt dabei eine Bildwelt auf, die eher an Georg Trakls düstere Szenarien erinnert als an den späten Heine. Das Ich, das hier bei Fontane spricht, ist am Ende auf sich zurückgeworfen: „Nichts hör ich klopfen / Als mein Herze durch die Nacht“.
Beim Wiederlesen war der Gedanke sehr spontan da: Passt es nicht gerade in diese merkwürdige und beklemmende Zeit des Jahresendes 2020? Eine Zeit, in der viele durch die Pandemie und ihre Folgen gezwungenermaßen auf sich zurückgeworfen sind, eine Zeit, in der die eigene Gesundheitsvorsorge und die Rücksichtnahme auf Andere für viele einhergeht mit einer Gesamtlage, in der Stille und Einsamkeit zu Synonymen zu werden drohen. Eine Zeit, in der man nur schwer empfänglich ist für weihnachtliche Bilder wie dem von der Tanne, die „fromm und lichterheilig wird“, wie es bei Rilke heißt.
Trostreich ist Fontanes Gedicht gerade nicht. Aber es ist auch nicht vornehmliche Aufgabe von Literatur, trostreich zu sein. Wenn es Bewusstsein wach hält, ist schon viel geleistet. Und das leistet Alles still! allemal.
Allen Lesern meines Blogs, der im vergangenen Jahr etwas darben musste, danke ich für den Besuch meiner Seiten. Ich wünsche euch und Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, eine entspannte und besinnliche Zeit zwischen den Jahren und alles erdenklich Gute für 2021. Bleibt und bleiben Sie gesund!
Ich finde dieses Schneebild (ich liebe ja Schnee!) und das Gedicht ganz zauberhaft. Ich mag diese Melancholie, auch den Blick auf die Vergänglichkeit, die, wie ich meine, auch zu einer gewissen Demut führt. Ich denke, solch ein Innehalten oder auch die Beschäftigung damit hat auch sein Gutes. Ich wünsche Dir ebenfalls ein frohes Fest, schöne Feiertage und freue mich auf Deine kommenden Beiträge im nächsten Jahr. Viele Grüße