Christoph Hein: Verwirrnis

Hein, Verwirrnis

Verwirrnis ist ein Wort, das der Duden nicht verzeichnet. Eine Neuschöpfung also, so könnte man annehmen und sich über den scheinbaren Manierismus wundern. Warum nicht schlicht „Verwirrung“? Neu ist der Begriff aber nicht, im Gegenteil. Denn das Grimmsche Wörterbuch verzeichnet ihn noch, wenn auch nur mit einigen wenigen und außerdem sehr alten Belegstellen. Demnach ist … Weiterlesen

Theodor Fontane: L’Adultera

Fontane, L'Adultera

Machen wir uns doch nichts vor! Die Frau, die Mann und Kinder verlässt, hat es ungleich schwerer, dass die Öffentlichkeit ihrem Verhalten Verständnis entgegenbringt, als der Mann, der sich von seiner Familie abwendet. Schnell steht ein vermeintlicher Anspruch auf Rechtfertigung im Raum. Schneller entsteht ein moralischer Vorbehalt, ein zweifelndes Muss-das-denn-sein?, wenn nicht ein empörtes Wie-kann-man-nur!. … Weiterlesen

George Saunders; Lincoln im Bardo

Saunders, Lincoln im Bardo

Totenstimmen, schon wieder? Wäre es kurz nach der Lektüre von Robert Seethalers Das Feld jetzt nicht erst einmal genug mit dem, was uns aus dem Nicht-mehr als ein Immer-noch beschäftigt und manchmal auch bedrängt? Aber nach der großen Resonanz, die der Roman nach seinem Erscheinen erfahren hat, nach den zahlreichen zustimmenden, ja schon begeisterten Reaktionen … Weiterlesen

Assaf Gavron: Achtzehn Hiebe

Gavron, Achtzehn Hiebe

In Tel Aviv hat es einen Anschlag mit Toten und Verletzten gegeben. Relativ schnell werden die Attentäter gefasst und vor Gericht gestellt. Die Urheberschaft für den Anschlag wird ihnen nachgewiesen; sie werden zum Tode verurteilt. Einer der Attentäter, so stellt sich heraus, ist allerdings minderjährig so dass die Rechtslage es verbietet, die grausige Höchststrafe an … Weiterlesen

Robert Seethaler: Das Feld

Seethaler, Das Feld

Die meisten von uns haben sie bestimmt schon einmal gesehen und bewusst wahrgenommen. Mag sogar sein, man war eine oder einer von ihnen, von jenen Friedhofsbesuchern, die man auf einer der Bänke antrifft. Manche von ihnen wollen gar nicht angetroffen werden, sie möchten dort sitzen und ín Ruhe gelassen werden. Sie wollen alleine sein, sei … Weiterlesen

Ralf Rothmann: Der Gott jenes Sommers

Rothmann, Gott jenes Sommers

I Lesen weckt Vorstellungen, erzeugt Assoziationen und Gedanken, die dann auch wegvagabundieren können vom Gelesenen, sich in ein freies Feld bewegen der eigenen Erlebnisse, Erfahrungen und Einsichten. Gleichgültig, ob sie nun haltbar sind oder nicht. Im Schreiben aber über das Gelesene muss das Herumstreunen wieder gebändigt werden, damit das Geschriebene lesbar bleibt. Das geschieht mit … Weiterlesen

Katrine Engberg: Krokodilwächter

Engberg, Krokodilwächter

Es muss sein, immer noch und immer wieder. Wenn auch in unregelmäßigen Abständen, doch zuverlässig kommt sie hoch, die Lust, einen Kriminalroman zu lesen. Die Erwartung, die dabei entsteht, ist in sich widersprüchlich. Man erhofft sich leichtere Lesekost, das wenn möglich aber bitte als Haute Cuisine. Man möchte sich in der Spannung verlieren können, aber … Weiterlesen

Ulrich Alexander Boschwitz: Der Reisende

Boschwitz, Der Reisende

„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, nie, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Es wird gesagt, dann wird getan.“ (Michael Köhlmeier) Zeugenschaft ist eine der faszinierendsten und vielleicht auch wichtigsten Merkmale guter Literatur. Zeugenschaft für das, was geschieht, sei es in den Zentren, … Weiterlesen

Andreas Dury: Der Chor der Zwölf

Dury, Chor der Zwölf

Ob der Grundgedanke, dem das im Roman geschilderte KAIRA-Projekt zugrunde liegt, physikalisch und informationstechnologisch einen Machbarkeitskern enthält, mag nur jemand letztgültig beurteilen, der die notwendige Sachkenntnis mitbringt. Zu dieser Personengruppe gehöre ich nicht. Bestechend und faszinierend zugleich erscheint die Grundidee jedoch allemal. In den letzten rund 100 Jahren hätten die Menschen eine Art neuer Atmosphäre … Weiterlesen

Bernhard Schlink: Olga

Schlink, Olga

„Sie macht keine Mühe, am liebsten steht sie und schaut.“ Überlegungen, die sich um erste Sätze ranken, sind Legion. Letztere sind bekanntlich von besonderer Bedeutung und haben, sind sie wohl überlegt gesetzt, das Potential, einen langen Roman zu strukturieren.Schlinks erster Satz aus einem neuen Roman Olga wird wohl nicht in die Reihe der schönsten Romananfänge … Weiterlesen

Marc-Uwe Kling: Qualityland

Kling, Qualityland

Leseempfehlung H. ist ein ausgesprochen freundlicher, belesener und gebildeter Mann. Ihn zu kennen, ist ein großes Glück, nicht zuletzt weil man immer wieder bemerken darf, dass seine Charakterzüge  und Eigenschaften nicht auf Haltungen von gestern, sondern auf das weisen, was notwendig ist. Dabei treten sie auf angenehm zurückhaltende Art in Erscheinung. H. drängt weder sich, … Weiterlesen

Martin Walser: Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte

Walser, Gar alles

In Martin Walsers philosophisch-religiösem Essay Über Rechtfertigung, eine Versuchung aus dem Jahr 2012 heißt es an einer Stelle lapidar: „Wer nur gerechtfertigt leben kann, kann nicht leben. Es sei denn, er könne seine Rechtfertigungsnot durch das Auflegen von Debussy-Platten narkotisieren.“ Da der Hauptfigur des jüngsten Walser-Prosatextes, der die meiste Zeit Justus Mall heißt, die ohnehin … Weiterlesen

Peter Stamm: Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt

Stamm, Gleichgültigkeit

Auf seiner Facebook-Seite hat Peter Stamm ein Album angelegt mit Fotos von Hotelzimmern, in denen er sich während seiner zahrleichen Lesereisen aufgehalten hat. Eines dieser Fotos zeigt ihn in einem Aachener Hotel, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern kann. Er steht vor einem Spiegel im Badezimmer, an dessen gegenüberliegender Wand ebenfalls ein Spiegel … Weiterlesen

Milena Michiko Flašar: Herr Katō spielt Familie

Flasar, Kato

„Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich.“ Das Zitat ist Christa Wolfs Essay Lesen und Schreiben entnommen, den sie 1972 erstmalig veröffentlichte. Darin geht sie der Frage nach, welche Bedeutung Literatur für ihr Leben habe, und macht ein Gedankenexperiment. Sie stellt sich vor, wer sie sei, wenn sie all die Bücher nicht gelesen hätte, die sie … Weiterlesen

Erling Kagge: Stille. Ein Wegweiser

Kagge, Stille

Was es nicht ist Im US-Bundesstaat Minnesota gibt es einen Ort, der als der stillste Ort überhaupt gelten kann. In den „Orfield Laboratories“ wurde ein Raum geschaffen, der 99,99% aller Geräusche absorbiert. Wer sich in dem Raum befindet, hört nichts außer sich selbst als Geräusch, sein Herz, seine Lunge, seinen Magen. Niemand hat es bisher … Weiterlesen