Sylvie Schenk: Schnell, dein Leben

Schenk: Schnell, dein Leben

Ein merkwürdiger Romantitel. Er spricht jemanden direkt an, ohne dass man wissen könnte, wen. Vielleicht sogar den Leser selbst? Er fordert auf, ohne zu sagen, wozu. Zum Zuhören? Zum Erzählen? Zum Eingreifen? Zum Hintersichlassen? Gewiss ist nur, dass es, was auch immer, schnell gehen soll. Dabei nimmt der Titel ein wesentliches erzählerisches Merkmal des Romans … Weiterlesen

Theodor Fontane: Unwiederbringlich

Fontane, Unwiederbringlich

Unwiederbringlich gehört nicht zu den bekannten Romanen Fontanes. Stammte er nicht aus dessen Feder und würde er nicht getragen von den die Zeiten überdauernden und in den schulischen Kanon des Deutschunterrichts eingegangenen Romanen wie Irrungen, Wirrungen oder Frau Jenny Treibel oder auch Effi Briest, so wäre er wohl mittlerweile vergessen. Zu Unrecht wäre es so! … Weiterlesen

Friedrich Christian Delius: Die Liebesgeschichtenerzählerin

liebesgeschichtenerzählerin

Eine Binsenweisheit: Man liest nie voraussetzungslos. Auszuschließen ist deshalb auch nicht, dass derlei Voraussetzungen im wesentlichen Maße nicht nur den Eindruck, sondern auch das Urteil über das Gelesene prägen. Das gilt natürlich ebenso für jene Voraussetzungen, die man nicht hat und die deshalb andere Voraussetzungen generieren. Warum sagt er das? Nun ja, verfolgt man die … Weiterlesen

Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt

Die Beschäftigung mit Verschwundenen – das ist, um es etwas flappsig auszudrücken, Friedrich Anis Ding. Er versteht es, daraus ebenso anspruchsvolle wie spannende Kriminalhandlungen zu entwickeln und zugleich zerrüttete Lebenszusammenhänge und gesellschaftliche Fehlentwicklungen ins Tageslicht zu rücken. So, dass man hinschauen kann, ja hinschauen muss. Ein solch Verschwundener ist auch Ludwig Dragomir. Das Besondere und … Weiterlesen

Joakim Zander: Der Bruder

Zander, Der Bruder

Der Berliner Literaturwissenschaftler und Publizist Walter Delabar schilderte kürzlich die Beobachtung, dass das Krimi-Genre von einer „Empfehlungswelle“ geradezu überschwenmmt werde, während eine, auch den Verriss nicht scheuende Literaturkritik weitgehend fehle. Leseempfehlungen würden begründet mit aktueller gesellschaftlicher und politischer Relevanz; stilistische und konzeptionelle Mängel blieben dem gegenüber unerwähnt oder unberücksichtigt. Joakim Zanders neuer Roman Der Bruder, … Weiterlesen

Juli Zeh: Unterleuten

Zeh, Unterleuten

Im Regelfall bin ich nicht verlegen, eine eindeutige Gefallensäußerung oder ein Urteil über einen literarischen Text zu formulieren. Bei Juli Zehs Unterleuten tue ich mich aber, das muss ich gestehen, schwer. Ob dieses Zögern auch etwas mit dem Umstand zu tun hat, dass ich vier Wochen benötigte, um den Roman zu Ende zu lesen? Es … Weiterlesen

Hans-Ulrich Treichel: Tagesanbruch

Treichel, Tagesanbruch

Die Pietà ist in der christlichen Bildkunst das Sujet, das am intensivsten den Schmerz und die Trauer der Mutter verkörpert, die ihr verstorbenes Kind beweint. Bis in mittelalterliche Vesperbilder zurückreichend ist der Aufbau der Bilder und Skulpturen nahezu identisch. Der verstorbene, gerade von Kreuz genommene Christus wird in den Schoß der Mutter gelegt oder liegt … Weiterlesen

Sander Kollaard: Stadium IV

S. Kollaard, Stadium IV

  Nicht umsonst prägen die Farben Blau und Gelb, die Nationalfarben Schwedens, den Umschlag. Es zeigt ein Rapsfeld in voller Blüte. Die Kameraperspektive suggeriert dem Betrachter einen harten Übergang zwischen Land und Wasser, genauer und wenn man weiß, dass das Motiv auf Öland fotografiert wurde, zwischen Küste und Meer. Schweden, Öland – das ist der … Weiterlesen

Jürgen Becker: Jetzt die Gegend damals

Jürgen Becker Gegend

Der Titel ist Programm: Jetzt die Gegend damals. Jürgen Becker beweist in seinem letztes Jahr im August erschienenen Roman ein ausgesprochen sensibles Auge für die „Gegend“. Gegend ist all das, was ihn umgibt, vor allem aber Landschaften, Siedlungsformationen am Rande der Stadt und auf dem Land und natürlich die Menschen und Tiere, die sich in … Weiterlesen

Michael Köhlmeier: Das Mädchen mit dem Fingerhut

Erst am Ende gibt Michael Köhlmeier die bis dahin weitgehend durchgehaltene Erzählperspektive auf, wird auktorial und appelliert an den Leser: Wenn es wahr ist, dass an Gottes rechter Seite sein Liebling steht, bei allem, was er tut, was er pflanzt und segnet, wenn das wahr ist, so hör die Schritte, die kleinen, die großen, das … Weiterlesen

Hans Platzgumer: Am Rand

HITOTSU – das ist das erste Wort der fünf Grundregeln des Karate. In diesen sogenannten Dōjōkuns verbirgt sich fast die gesamte Ethik des ostasiatischen Kampfsports; sie betonen gerade nicht das Kämpferische, sondern Respekt, Disziplin und Charakterstärke. HITOTSU bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie „erstens“ und signalisiert, dass alles gleich wichtig ist. HITOTSU – so … Weiterlesen

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Es ist bekannt, vielleicht; es bewegt, zumeist: Mondnacht Es war, als hätt‘ der Himmel Die Erde still geküsst, Daß sie im Blüten-Schimmer Von ihm nun träumen müßt‘. Die Luft ging durch die Felder, Die Ähren wogten sacht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, … Weiterlesen

Peter Stamm: Weit über das Land

Las man die Vorankündigungen seitens des Verlags zum neuen Roman von Peter Stamm oder wirft man einen Blick auf den Klappentext, so steigt im Leser vielleicht die Ahnung, bei dem einen oder anderen auch die Befürchtung auf, man höre beim Lesen im inneren Ohr immer das Mundharmonika-Solo aus Udo Jürgens‘ Evergreen „Ich war noch niemals … Weiterlesen

Christoph Hein: Glückskind mit Vater

„Am Anfang war eine Landschaft.“ So begann die Novelle Der fremde Freund, die 1982 Christoph Hein zum literarischen Durchbruch verhalf. So könnte auch sein neuer Roman Glückskind mit Vater beginnen. Denn auch hier betritt der Leser gemeinsam mit einem Ich-Erzähler ein durch Menschenhand geformtes Naturareal, ein aufgeforstetes Birkenwäldchen, das wiederum vollkommen umschlossen ist von einem … Weiterlesen

Dierk Wolters: Die Hundertfünfundzwanzigtausend-Euro-Frage

Ja, genau. Der Gedanke, der Ihnen beim Titel des Buches gleich in den Sinn gekommen ist, ist vollkommen richtig. Die erzählte Geschichte nimmt ihren Ausgangspunkt in Günther Jauchs „Wer wird Millionär“. Dierk Wolters – er ist im Übrigen Kulturredakteur bei der Frankfurter Neuen Presse – hat irgendwo erwähnt, ihn habe die Situation, in die sich … Weiterlesen